eCall: Lebensretter mit integriertem Datenschutz

Das neue Notrufsystem eCall soll dabei helfen, durch schnell und effizient aktivierte Rettungsmaßnahmen die Zahl der Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr zu reduzieren. Eine wichtige Rolle spielt die Beachtung des Datenschutzes.

Der eCall kann auch von den Insassen selbst ausgelöst werden, wenn sie Hilfe brauchen. Foto: BMW - Montage Frieser

Der eCall kann auch von den Insassen selbst ausgelöst werden, wenn sie Hilfe brauchen. Foto: BMW – Montage Frieser

Digitale Daten und Services begleiten vernetzte Fahrzeuge mittlerweile in fast allen Lebenslagen. Auch Verkehrsunfälle sind ein Arbeitsfeld für die elektronischen Systeme, die bei Bedarf eine rasche und effiziente Nothilfe aktiveren sollen. Treffen dann die Rettungsdienste ein, sind zumindest virtuell auch Datenschützer vor Ort. Schließlich stehen im Ernstfall stets die persönlichen Daten der Betroffenen zur Disposition. Leben retten und Daten schützen – wie passt das zusammen? Ziemlich gut, wie das Beispiel des neuen Notrufsystems eCall zeigt. Das Kürzel steht für „Emergency Call“ und bezeichnet ein satellitengestütztes, in der Regel fest im Auto installiertes Notrufsystem.

Bei einem schweren Verkehrsunfall stellt es automatisch eine Verbindung zu einer unter der Nummer 112 erreichbaren Notrufzentrale her und übermittelt die exakte Position des Unfallfahrzeugs. Auf dem Zubehörmarkt gibt’s bereits Anbieter, die den eCall zur Nachrüstung anbieten. Wer sich demnächst ein neues Fahrzeugmodell zulegen möchte, braucht sich jedoch nicht zu überlegen, ob er das System an Bord haben möchte oder nicht. Der europäische Gesetzgeber hat den eCall für künftige Fahrzeuggenerationen in einer eigens dafür auf den Weg gebrachten Verordnung zur Pflichtausstattung gemacht. Demnach müssen die Autohersteller ab dem 31. März 2018 alle neuen Modelle von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mit einem automatischen Notrufsystem ausrüsten.

In der Notfallzentrale sehen die Mitarbeiter bei einer Notfallmeldung die aktuelle Position des Unfallwagens. Foto: Opel

In der Notfallzentrale sehen die Mitarbeiter bei einer Notfallmeldung am Bildschirm die aktuelle Position des Unfallwagens. Foto: Opel

Der eCall ist vergleichsweise leicht zu realisieren

Der Autoindustrie dürfte diese Vorgabe kein Kopfzerbrechen bereiten. Die Komponenten für den eCall liegen bereits in den Baukästen der Hersteller. Das System benötigt unter anderem einen GPS-Empfänger zur Feststellung der Fahrzeugposition, eine GSM-Antenne zum Senden des Notrufes an die Notrufzentrale und eine Handvoll Crash-Sensoren, die den Unfall detektieren. Dass das Steuergerät im Falle eines Falles über das GSM-Modul einen Notruf mit der genauen Standortmeldung auslösen kann, ist dann eine vergleichsweise leichte Aufgabe. Moderne Pkw beherrschen längst ganz andere Datenströme. Sie senden während der Fahrt neben der Fahrzeugidentifikationsnummer auch Sensordaten sowie Informationen wie Datum, Uhrzeit, Kilometerstand, Verbrauch, Tankfüllung und Reifendruck an die Backends ihrer Hersteller.

In diesen Datensammlungen steckt allerdings jede Menge Zündstoff. Führt man die Daten richtig zusammen, lassen sie Aussagen über Fahrzeugbewegungen, Fahrverhalten und Persönlichkeit eines Fahrers zu. Es ließe sich herausfinden, ob er den Gurt angelegt hat, ob er zu schnell gefahren ist oder ob er zum Zeitpunkt des Unfalls körperlich auf der Höhe war. In der Automobilbranche gibt es heute einen Konsens darüber, dass alle im Fahrzeug erhobenen Maschinendaten, die nicht sofort gelöscht, sondern gespeichert werden und damit einem Zugriff durch Dritte offenstehen, in die Kategorie der personenbezogenen Daten gehören. Der Schutz dieser Daten, genauer: der Schutz der Person, die mit diesen Daten in Verbindung steht, ist die Aufgabe für den Datenschutz.

Die Hersteller dürfen ein eigenes eCall-System zur Wahl stellen

Auch der eCall fügt sich nahtlos in diese Problematik ein. Der europäische Gesetzgeber räumt den Herstellern die Möglichkeit ein, den Kunden parallel zum obligatorischen Notrufsystem ein eigenes System zur Wahl zu stellen. Mit der gesetzlichen Variante haben Datenschützer kein Problem. Sie schlummert gewissermaßen im Standby-Modus, bis ein Crash die Airbags auslöst. Erst dann sendet sie einen definierten Datensatz an die Notrufzentrale. Ein eigenes Notrufsystem der Hersteller könnte dagegen mit zusätzlichen Services und Funktionen aufwarten, die gezielt das Potenzial der Big Data aus dem Fahrzeug nutzen.

Denkbar wäre ein Szenario, in dem ein Autohersteller zusammen mit exklusiven Partnern eine Rettungskette aufbaut, die sich vom privaten Notdienst über die Versorgung im Krankenhaus bis hin zur Unfallregulierung spannen lässt. Am Unfallort würde dann zum Beispiel ein Abschleppdienst im Auftrag des Herstellers erscheinen. Das Unfallfahrzeug könnte in die nächste Markenwerkstatt überführt werden, die ihrerseits sofort ein Ersatzfahrzeug bereitstellt. Die Gretchenfrage für den Fahrzeugnutzer müsste an dieser Stelle lauten, ob er diese Services tatsächlich in Anspruch nehmen will. Dass die Hersteller mit dem Notruf ein Geschäft machen, ist jedenfalls grundsätzlich möglich. Allerdings gibt’s dafür handfeste Spielregeln. „Wenn ein Hersteller die Daten nicht rechtmäßig erhebt, darf er sie auch nicht verwenden“, erklärt Volker Lüdemann, Professor für Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht an der Hochschule Osnabrück und Wissenschaftlicher Leiter des Niedersächsischen Datenschutzzentrums.

Datenschutz und Privatsphäre sind zentrale Bausteine in der europäischen eCall-Verordnung. Foto: Fotolia-vege

Datenschutz und Privatsphäre sind zentrale Bausteine in der europäischen eCall-Verordnung. Foto: Fotolia-vege

Nimmt man die Verordnung zur Einführung des eCall unter dem Aspekt des Datenschutzes unter die Lupe, zeigt sich, dass der Gesetzgeber absolut auf dem Laufenden ist. Die Bestimmungen spiegeln den modernsten Stand der Rechtsetzung wieder, wie sie in der ab dem 25. Mai 2018 in Kraft tretenden europäischen Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) zum Ausdruck kommt. Tatsächlich sind Privatsphäre und Datenschutz zentrale Bausteine in der eCall-Verordnung. Die Autohersteller müssen ihre Karten zum installierten Notrufsystem offen auf den Tisch legen. Sie müssen erklären, welche Funktionen und Dienste sie anbieten, welche Drittanbieter eingebunden sind und welche Kosten für die Inanspruchnahme der Services entstehen.

Klare Vorgaben macht die Verordnung auch in technischer Hinsicht. Der Datensatz für den Notruf darf daher maximal die Informationen enthalten, die für die zweckmäßige Bearbeitung notwendig sind. Der eCall ist außerdem kein Freibrief dafür, die Positionsdaten eines Fahrzeugs im Normalbetrieb zu verfolgen. Die Hersteller müssen sicherstellen, dass im Speicher des Notrufsystems die Daten automatisch und kontinuierlich gelöscht werden. Im Speicher bleiben dürfen lediglich die drei letzten Positionen des Fahrzeugs, aus denen sich dann der aktuelle Standort und die Fahrtrichtung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Unfalls ermitteln lässt.

Reguläres System oder Hersteller-System? Der Nutzer entscheidet

Auch die Fahrzeugbesitzer und Fahrer sind im Hinblick auf den Datenschutz gefordert. Stellt der Hersteller ein eigenes System zur Wahl, müssen sie der Verarbeitung ihrer Daten ausdrücklich zustimmen. Liegt die Einwilligung nicht vor, dürfen die Hersteller die Daten nicht an Dritte weitergeben. Wichtig zu wissen: Wer mit einer Verarbeitung seiner Daten für den eCall des Herstellers nicht einverstanden ist, braucht deshalb keine Nachteile zu befürchten. Das reguläre Notrufsystem steht auf jeden Fall zur Verfügung. Ebenfalls eine Vorgabe der EU-Verordnung: Die Hersteller müssen in der Betriebsanleitung für das Fahrzeug eine umfassende technische Dokumentation der installierten eCall-Systeme vorhalten. Dieser Transparenzpflicht steht gewissermaßen eine Aufforderung zur Information an die Fahrer gegenüber. Sie haben die Chance, sich ein Bild über die Erhebung und Verarbeitung ihrer Daten durch das eCall-System zu machen und über die Verwendung frei zu entscheiden. Nutzen müssen sie die Gelegenheit am Ende aber selbst.

Nach dem Absetzen des Notrufs leitet ein Mitarbeiter in der Notrufzentrale die Meldung weiter an die Rettungskräfte. Foto: Daimler

Nach dem Absetzen des Notrufs leitet ein Mitarbeiter in der Notrufzentrale die Meldung weiter an die Rettungskräfte. Foto: Daimler

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