Ladesysteme: Strom snacken ohne Kabel

Author: Achim Geiger

27. Juli 2022 Innovation

Weg mit dem Kabelsalat an Wallbox und Ladesäule! Wissenschaft und Industrie tüfteln mit Hochdruck an neuen Lösungen für die elektromobile Infrastruktur.

Die Elektromobilität dürfte spätestens dann die Ziellinie erreicht haben, wenn die Infrastruktur fürs Laden so leicht verfügbar ist wie heute die Tankstelle für den Verbrenner. Am Supermarkt, beim Arzt oder am Taxistand allein durchs Abstellen des Fahrzeugs eine Extraportion Reichweite mitnehmen? Die hochautomatisierte Limousine, die selbstständig ins Parkhaus fährt und voll geladen wieder herauskommt? Der fahrerlose Shuttlebus, der den Fahrstrom aus der Fahrbahn bezieht? Solche Szenarien könnten in Zukunft Wirklichkeit werden. Wissenschaft und Industrie tüfteln bereits an Alternativen zur Ladesäule.
Im Fokus stehen automatisierte Technologien, die selbstständig eine Verbindung zwischen dem Netz und dem Fahrzeug herstellen. Gute Aussichten versprechen induktive Ladesysteme, die ganz ohne physische Verbindung zum Fahrzeug auskommen. „Das Laden erfolgt in diesem Fall drahtlos über elektromagnetische Felder“, erklärt Andreas Richter, Ingenieur im DEKRA Kompetenzzentrum Elektromobilität. Die dazu nötige Infrastruktur besteht im Wesentlichen aus Ladeplatten mit Primärspulen, die im Boden verbaut und mit Strom versorgt werden. Das Gegenstück ist die unter einem Fahrzeug installierte Sekundärspule. Steht das Fahrzeug damit über der Primärspule, wird die Sekundärspule von dem elektromagnetischen Feld so angeregt, dass ein Induktionsstrom für Elektromotor oder Batterie erzeugt wird.
Hat das Kabel-Stecker-Prinzip ausgesorgt?
Hat also das für Ladesäule und Wallbox übliche Kabel-Stecker-Prinzip seine besten Tage hinter sich? Nicht unbedingt. Tatsächlich fächern sich die Spielarten dieses sogenannten konduktiven Ladens weit auf. Volkswagen zum Beispiel hat bereits Anfang 2020 einen autonomen Laderoboter vorgestellt, der mit Akkuwaggons im Schlepp den kompletten Ladevorgang am abgestellten Elektroauto in Eigenregie durchführt. Mittlerweile ist es um dieses Zukunftsprojekt der Wolfsburger zwar ruhig geworden, dafür steht ein ähnliches System jetzt in den Startlöchern zur Serienproduktion.
Die TU Graz hat einen mobilen Laderoboter entwickelt, der sich mit Hilfe von Lidarsensoren mit bis zu 20 Stundenkilometern autonom im Raum bewegt. Das System besteht aus der mobilen Plattform, auf der ein Roboterarm installiert ist, der den Ladestecker selbstständig an das Elektrofahrzeug anschließt und nach dem Laden wieder entfernt. Die Stromversorgung des Systems erfolgt über ein Kabel. Geladen wird mit Gleichstrom und einer Ladeleistung bis zu 50 Kilowatt (kW).
Neue Varianten des konduktiven Ladens
Eine völlig andere Interpretation eines automatischen Laderoboters liefern das Grazer Start-up Volterio und der Fahrzeugzulieferer Continental. Bei dieser Variante des konduktiven Ladens handelt es sich um ein Unterbodensystem, bei dem sich eine am Boden fixierte oder darin eingelassene Ladeplatte mit integriertem Anschluss ans Stromnetz über ein spezielles Tool mit der im Fahrzeugboden verbauten Schnittstelle verbindet. Sobald das Elektroauto über der Ladeplatte steht, kommunizieren die Komponenten via Ultra-Breitband miteinander. In der Folge fährt automatisch eine Deckklappe auf der Bodeneinheit zurück und gibt den Weg für den integrierten Ladearm frei, der sich dann nach oben mit dem Fahrzeug verbindet. Interessant: Das System verlangt keine akkurate Positionierung – wie es heißt, gestattet der Ladearm Abweichungen bis zu 30 Zentimeter von der idealen Parkposition.
Den umgekehrten Ansatz zur Verbindung von Ladeplatte und Elektroauto verfolgt das österreichische Start-up Easelink – hier ist das Verbindungsstück im Fahrzeugboden integriert. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Art Laderüssel, der sich auf die Ladeplatte absenkt, sobald das Fahrzeug in Position steht. Das Pad ist so ausgelegt, dass das Verbindungsstück an mehreren Stellen sicher Kontakt aufbauen kann. Dieses sogenannte Matrix Charging System soll eine hohe Leistungsübertragung möglich machen. Das fahrzeugseitig nötige Equipment soll sich bei Easelink ebenso wie bei Volterio für die meisten Fahrzeuge nachrüsten lassen.
Das induktive Ladesystem im ÖPNV
Und wie steht es in der Praxis mit den induktiven Ladetechnologien? Im ÖPNV haben entsprechende Systeme bereits die ersten Feuerproben hinter sich. Die Braunschweiger Verkehrs-GmbH zum Beispiel lädt seit 2015 die Akkus ihrer Elektrobusse auf der zwölf Kilometer langen Ringlinie 419 an zwei eigens eingerichteten Haltestellen durch induktive Schnellladung mit 200 kW auf.
Der Pkw-Bereich dagegen steht auch in internationaler Perspektive noch am Anfang. „Den aktuellen Stand der Ladetechnik in diesem Segment beschreibt der im Oktober 2020 von SAE International vorgestellte Standard SAE J2954, der sich auf das kabellose Laden von Elektrofahrzeugen mit bis zu 11 kW bezieht“, weiß DEKRA Experte Andreas Richter. Eine der ersten Anwendungen dieser Technologie schreibt sich das Unternehmen WiTricity aus Watertown bei Boston auf die Fahnen. Die US-Amerikaner bieten induktive 11-kW-Ladestationen für Parkplätze an, die ebenso schnell laden sollen wie vergleichbare kabelgebundene Stationen. Weltweit will Siemens eMobility diese Lademöglichkeiten künftig mit einer Lizenz von WiTricity anbieten. Siemens schätzt das Marktvolumen für kabelloses Laden von E-Autos in Nordamerika und Europa bis 2028 auf zwei Milliarden Dollar.
Die Taxibranche könnte profitieren
Zu den Nutznießern neuer Entwicklungen in der induktiven Ladetechnologie könnte die Taxibranche gehören. Ende Mai hat in Köln die Validierungsphase des Forschungsprojekts „Taxi-Lade-Konzept für den öffentlichen Raum“ (TALAKO) begonnen, das unter Federführung des Lehrstuhls für Internationales Automobilmanagement der Universität Duisburg-Essen das Potenzial des induktiven Ladens für elektrisch betriebene Taxis untersucht. Dazu wurden auf einer Haltespur vor dem Kölner Hauptbahnhof sechs Ladeplätze mit einer Fläche von etwa eineinhalb Quadratmetern und einer Ladeleistung von 22 kW eingerichtet. Den automobilen Part übernimmt eine kleine Elektroflotte des Herstellers LECV, die eigens für den Feldversuch umgerüstet wurden. Steht ein Taxi in der Warteschlange, wird das Fahrzeug auf der ersten Ladeplatte automatisch geladen. In der Folge rückt das Taxi Ladeplatz für Ladeplatz nach vorne – bei einer durchschnittlichen Wartezeit von 45 Minuten könnte das Taxi dann Strom für etwa 75 Kilometer Reichweite laden.
Laden auf der intelligenten Straße
Der Königsweg des induktiven Ladens wäre es allerdings, wenn ein Fahrzeug schon beim Fahren Energie für mehr Reichweite erhalten könnte. Genau dies ist das Prinzip der Smart Roads, die das israelische Unternehmen Electreon seit rund fünf Jahren entwickelt. Die grundlegende Bauform dieser intelligenten Straßen sieht vor, dass etwa zehn Zentimeter unter dem Straßenbelag mit einer Stromquelle verbundene Kupferspulen ausgelegt werden, die ihre Energie an das mit einem Empfänger ausgestattete Fahrzeug übertragen.
Bislang hat Electreon mit dieser Technologie vor allem den ÖPNV im Blick. Hier können die Israelis bereits ausgezeichnete Referenzen vorweisen – unter anderem in Tel Aviv sowie im schwedischen Gotland und im US-amerikanischen Detroit mit jeweils einer 1,6 Kilometer langen Teststrecke. Der jüngste Aufschlag ist dem innovativen Unternehmen mit der Arena del Futuro in Norditalien gelungen. Dort testet Stellantis seit Anfang des Jahres das induktive Laden von Elektroautos auf dem eigens dafür gebauten Rundkurs mit einer Länge von 1.050 Metern. Wie es heißt, sollen die Leiterschleifen unter dem Asphalt bis zu einem Megawatt elektrischer Leistung übertragen.
Als Testfahrzeuge kommen ein Fiat 500e sowie ein elektrischer Stadtbus des Herstellers Iveco zum Einsatz. Erste Daten belegen, dass der Fiat mit Autobahngeschwindigkeit fahren kann, ohne die in seiner Batterie gespeicherte Energie zu verbrauchen. Wohin diese Versuche führen sollen? Gut möglich, dass künftig Autobahnen auf speziellen Abschnitten mit der induktiven Technologie ausgestattet werden. Lkw, Busse und Pkw könnten dann hunderte Kilometer abspulen, ohne dazu einen einzigen Ladestopp einlegen zu müssen.