Straßentunnel: Unten durch

Author: Michael Vogel

03. Aug. 2022 Sicherheit im Verkehr

Sie verlaufen unter Gebirgen, unter Orten oder unterm Wasser: In einem Straßentunnel gibt es hell erleuchtete Hallen, ein anderer hat einen unterseeischen Kreisverkehr und noch ein anderer dient als Rückstaubecken. Wir stellen außergewöhnliche Bauten vor.

Warum zig Höhenmeter überwinden, erst hinauf, dann wieder hinunter, wenn es auch geradliniger geht? Wer sich diese Frage für Straßen zuerst stellte, ist nicht überliefert. Als gesichert gilt jedoch, dass im heutigen Italien bereits vor der Jahrtausendwende die Ertrusker und Römer Tunnel bauten, um Wege abzukürzen. Die Grotta di Pozzuoli in Neapel ist ein Beispiel. Sie ist im 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden. Vier Meter hoch und vier Meter breit ist der heute für die Öffentlichkeit unzugängliche Tunnel. Das Licht der 700 Meter langen Verbindungsstrecke durch einen Hügel fällt nicht nur von den Enden ein, sondern auch ungefähr in der Mitte durch Schächte von oben.
Obwohl manche Straßentunnel schon früh entstanden sind, begann eine umfangreichere Bautätigkeit in Europa erst im 19. Jahrhundert. So wurde 1802 der erste Straßentunnel eröffnet, der die Alpen querte – unter dem Pass Colle di Tenda, der die französischen Seealpen von den Ligurischen Alpen trennt. Einen regelrechten Boom gab es dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den starken Ausbau des Autobahnnetzes.
Straßentunnel mit mehr als 20 Kilometer Länge
Der Colle di Tenda-Alpentunnel, auf Französisch Col de Tende, war mit seinen drei Kilometern viele Jahre einer der längsten Straßentunnel der Welt und ist noch heute für Pkw und Motorräder befahrbar. Inzwischen liegt die Rekordlänge bei den Straßentunneln aber jenseits der 20 Kilometer. Der weltweit längste ist der Lærdalstunnel nahe der südnorwegischen Fjordküste. 24,5 Kilometer misst er und ist nach fünf Jahren Bauzeit im Jahr 2000 in Betrieb gegangen. Auf Platz zwei folgt der zweiröhrige Yamate in Tokio mit 18,2 Kilometern. Vollständig eröffnet wurde er 2015.
Da es sich beim Lærdals um ein einröhriges Bauwerk handelt, gibt es Gegenverkehr im Tunnel. Bei der erlaubten Höchstgeschwindigkeit benötigt ein Fahrzeug rund 20 Minuten für die Durchfahrt – da kann es einem schon mulmig werden. Gegen Ermüdung soll der leicht kurvige Streckenverlauf helfen, gegen die Beklemmung hell erleuchtete riesige Hohlräume. Diese drei Höhlen sind gleichmäßig verteilt über die 24 Kilometer. Dort kann man Pause machen, wenden – oder heiraten, auch das gab es schon.
Strenge Sicherheitsstandards für Straßentunnel
Tunnel sind fatale Orte, wenn es zu Unfällen, womöglich gar Feuern, kommt. Nicht zuletzt durch die schweren Unfälle im französisch-italienischen Montblanc-Tunnel und im österreichischen Tauerntunnel, die sich innerhalb von zwei Monaten im Frühjahr 1999 ereigneten, erarbeitete die EU eine Richtlinie. Sie regelt seit 2004 die grundlegenden Sicherheitsstandards im transeuropäischen Straßennetz, um ein einheitliches Sicherheitsniveau in den Mitgliedsstaaten zu erreichen. Hierzu gehören etwa Beschilderungen, die auch bei Rauch noch zu sehen sein müssen, sowie definierte Markierungen auf der Fahrbahn und an den Wänden. Nothalte sind in regelmäßigen Abständen ab einer gewissen Tunnellänge vorgeschrieben. Ebenso Pflicht sind Fluchtwege: Ausgänge ins Freie, Querverbindungen zwischen Tunnelröhren, Fluchtstollen oder Schutzräume.
Die EU-Mitgliedsländer hatten 10, in manchen Fällen auch 15 Jahre Zeit, die betroffenen Straßentunnel an die europäischen Mindeststandards anzupassen. Die immer wieder vom deutschen Verkehrsclub ADAC durchgeführten Tunneltests zeigen allerdings, dass das noch nicht überall geschehen ist.
Bei Tunneln bis etwa 400 Meter Länge genügt die natürliche Belüftung, bei längeren ist eine technische Frischluftversorgung erforderlich. Moderne, vielbefahrene lange Straßentunnel verfügen über Rauchmelder, Videoüberwachung, Lautsprecher und empfangbaren Verkehrsfunk, um bei Gefahr Rettungskräfte beziehungsweise Fahrzeuginsassen rasch informieren zu können.
Norwegen hat die längsten Straßentunnel
Beim Lærdalstunnel wird derzeit die Klimatisierung aufgerüstet. Er ist übrigens nicht mehr lange der Rekordhalter. Allerdings bleibt der Rekord in Norwegen: Nördlich von Stavanger an der Westküste befindet sich der Boknafjordtunnel im Bau. 2025/26 soll er fertig sein. Er hat dann 26,7 Kilometer Länge und verläuft in weiten Teilen unter Wasser. Damit wird er auch zum längsten Unterwassertunnel der Welt. Bislang schmückt sich mit diesem Rekord der Eysturoyartunnilin, der Ende 2020 für den Verkehr freigegeben wurde. Er verbindet die beiden größten Inseln der Faröer und hat eine Länge von 11,2 Kilometer. Tief unter dem Ozean gibt es dort sogar einen Kreisverkehr.
Ebenfalls mit dem Thema Wasser hat der SMART-Tunnel in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur zu tun. Der Name SMART steht für „Stormwater Management And Road Tunnel“ – und ist Programm. Er lässt sich gleichzeitig als Straßentunnel und als Wasserabfluss nutzen. Bei starken Regenfällen, Malaysia liegt in den Tropen, läuft auftretendes Hochwasser zunächst in einen Tunnel, in den die zweistöckige Verkehrsröhre eingebettet ist. Fahrzeuge können den Tunnel dann weiter nutzen. Erst wenn es zu extremem Hochwasser kommt, wird die Straßenröhre für den Verkehr gesperrt und ebenfalls geflutet. Die Wasserröhre hat 9,7 Kilometer Länge, die Verkehrsröhre vier Kilometer. Seit 2007 ist das Bauwerk in Vollbetrieb. Bislang wurde die Verkehrsröhre achtmal geflutet, zuletzt 2021. Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein.