Sendepause im Himalaja

Immer erreichbar sein, auch im Urlaub stündlich E-Mails checken – im Spiti-Tal des indischen Himalaja-Gebirges ist das nicht möglich. Nicole Graaf unterzieht sich einer rigorosen Digital Detox-Kur.

Das Dach der Welt: Viertausend Meter hohe Berge des indischen Himalaja umrahmen das Spiti-Tal. Foto: Emre Caylak

Das Dach der Welt: Viertausend Meter hohe Berge des indischen Himalaja umrahmen das Spiti-Tal. Foto: Emre Caylak

Ein Ort, wo Stille greifbar ist. Wo das digitale Geschnatter verstummt. Wo ich einmal ganz zu mir kommen kann. Wo mich kein ständig summendes Handy auffordert zu schauen, was Geschäftspartner, Kollegen oder Social-Media-Freunde wieder gepostet haben. Ein Ort weit ab von den Annehmlichkeiten der Moderne. Im Alltag komme ich ohne das Internet und soziale Medien nicht mehr aus, doch hier unterbleibt die digitale Versuchung des „Always-on“ aus technischen Gründen.

Eine internetfreie Zone: Das Spiti-Tal

Im Spiti-Tal, versteckt zwischen viertausend Meter hohen Bergen des indischen Himalaja, geprägt vom tibetischen Buddhismus, gibt es kein Internet, der Telefonempfang fällt häufig aus, und wenn es schneit, gibt es über Tage auch keinen Strom. Es fühlt sich zunächst seltsam an, alles loszulassen, nicht ans Business zu denken, aber die schroffe Schönheit der Natur hilft immens dabei. Ich kann mich kaum sattsehen – abenteuerlich und genau das Richtige. Schon der Weg dorthin ist alles andere als alltäglich: Links und rechts des Flusses, dem die Straße folgt, ragen steile, karge Berghänge empor. Manchmal ist die Straße so schmal, dass ich direkt in einen mehrere Hundert Meter tiefen Abgrund blicke.

Noch habe ich Empfang, einen Balken in der Anzeige, ich versende eine letzte SMS an eine Freundin, dann verabschiedet sich mein Netz für die nächsten Tage. „Gut so“, denke ich. Nach 15 Stunden Fahrt erreiche ich endlich das kleine Örtchen Tabo. Kurz vor meiner Herberge entdecke ich einen kleinen Laden mit der Aufschrift „Cybercafe“. „Gibt es hier etwa doch Internet?“, frage ich halb enttäuscht, halb hoffend. „Nein“, sagt Phuntsok Dhondrub, mein Herbergsvater. Das Netz funktioniere gar nicht. „Der Inhaber nutzt den Raum nur als Laden.“

Tabo wirkt trotz der forschen Ladenwerbung wie aus einer anderen Zeit. Mir begegnen nur ein alter Mönch, eine Frau mit einem Wasserkanister auf dem Rücken und ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht, der einen Stapel Holz zum Heizen in sein Haus bringt. Und noch einmal blitzt das digitale Zeitalter auf hier in einem der entlegensten Orte der Welt: In Phuntsoks Wohnzimmer hängt ein Flachbildfernseher. Er ist ausgeschaltet und ich versuche, ihn zu ignorieren.

Hier im Ort befindet sich mit dem über 1.000 Jahre alten Chos-Khor-Kloster eine der drei ältesten Einrichtungen des tibetischen Buddhismus. Auch Dutzende uralter Höhlen sind hier zu finden. „Manchmal nutzen ältere Leute sie für eine Meditation“, erzählt Phuntsok. Ich solle es doch auch einmal probieren, dann beschreibt er mir den Weg.

In der Höhle zur Ruhe kommen

Ein liebevoll mit grobem Stein gepflasterter Pfad führt hinter dem Dorf den Berg hinauf. Eine der Höhlen ist mit einer kleinen hölzernen Tür versehen. Sie ist nicht verschlossen. Dahinter blicken meine Augen zunächst in ein schwarzes Loch, bis sie sich an das schwache Licht darin gewöhnt haben. In die Rückwand ist eine etwa einen Meter hohe Kuhle gemeißelt. Darin liegt ein großer flacher Stein. Das muss der Meditationsplatz sein. Ich lasse mich nieder, schließe die Augen und bin ganz allein nur mit meinem Atem: ein-aus-ein-aus. Ich lausche, wie der Wind hart an den Gebetsflaggen vor der Höhle zerrt.

Die seelische Last bleibt aus der Höhle draußen und Ruhe nimmt Besitz vom meditierenden Körper. Foto: Emre Caylak

Ich fühle, wie eine wohlige Ruhe mich ergreift. Nichts scheint mehr wichtig zu sein, was mich noch vor wenigen Tagen belastet hat: keine Konflikte, keine Hektik und erst recht keine digitalen Zeitfresser wie Smartphone und soziale Medien. Ich erwische mich, wie ich kurz darüber nachdenke, wie gut sich ein Selfie in dieser Höhle auf meinem Facebook-Profil machen würde, nur um gleich darauf im Geist über mich selbst zu lachen: „So was von unwichtig!“

Als ich nach einer guten Stunde die Tür der Höhle wieder öffne, stieben weiße Flocken mir ins Gesicht. Das Tal wirkt neblig vom dichten Schneefall und die Berghänge auf der gegenüberliegenden Seite, die nur noch als Silhouetten erkennbar sind, überzieht langsam weißer Puder. „Welch wunderbare Ruhe“, denke ich – nicht nur da draußen, sondern auch in mir selbst. Diese innere Ruhe will ich von hier mitnehmen, mit in die rauschende, schnatternde Welt. Und wenn es mir erneut schwerfällt, zur Ruhe zu kommen, dann weiß ich, dass es Orte wie diesen gibt.

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