In der Schwebe

Verstopfte Straßen, ungesunde Emissionen, viel Lärm – Städte suchen weltweit nach Lösungen für das Nahverkehrschaos. Ein Ausweg aus der Misere könnten urbane Luftseilbahnen sein.

Seilbahnen bereichern in La Paz den öffentlichen Nahverkehr Foto: Fotolia - Volker

Seilbahnen bereichern in La Paz den öffentlichen Nahverkehr Foto: Fotolia – Volker

Metropolen in Südamerika wie La Paz, Mexico City oder Medellín haben längst vorgemacht, wie man mit Seilbahnen das Verkehrschaos in den Griff kriegt. Das technisch ausgereifte Transportmittel rückt nun auch in Deutschland mehr ins Blickfeld, denn die Gondeln schweben sauber, platzsparend und lautlos über allem irdischen Gewusel und gelten als sicherstes Verkehrsmittel überhaupt.

Bislang gibt es hierzulande viele Diskussionen, aber keine einzige Stadt-Seilbahn, die in den öffentlichen Nahverkehr eingebunden ist. „Das Thema kommt zwar immer mal wieder auf, wurde aber bislang nirgendwo realisiert“, sagt Max Reichenbach vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er hat zusammen mit Maike Puhe einen „Handlungsleitfaden Urbane Luftseilbahnen“ erstellt und dabei auch untersucht, wo es hakt. An der technischen Umsetzung liegt es nicht, die ist bei Anlagen in Tourismus- und Skigebieten hinreichend erprobt.

Leitner Ropeways hat eine 3S Seilbahn im skandinavischen Voss installiert. Foto: Leitner Ropeways.

Leitner Ropeways hat eine 3S Seilbahn im skandinavischen Voss installiert. Foto: Leitner Ropeways.

Aber für die Planungsabläufe in der Stadt liegen in Deutschland einfach noch keine Erfahrungen vor, auch ist der volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Faktor der luftigen Bahn bisher eine schwierig abschätzbare Größe. „Für alle anderen Verkehrsmittel gibt es eine sogenannte standardisierte Bewertung“, sagt Reichenbach, „aber Seilbahnen sind da zumindest bisher nicht vorgesehen.“ Die Verwaltung hat keine Vorbilder, und vielfach fehlen auch noch Regelungen für Zuschüsse vom Bund, ohne die sich manche Stadt kein größeres Verkehrsprojekt leisten kann. Einige Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen haben ihre Gesetzgebung angepasst, andernorts herrscht Nachholbedarf.

Keine Erfahrungen bei der Planung

Auch weil sie nicht kurvengängig sind, sind Gondeln kein Ersatz für Busse und Bahnen. Jedoch können sie eine gute Ergänzung sein, zumal sie Hindernisse wie Gefälle, Gebäude, Bahnanlagen oder Gewässer auf direktem Weg problemlos überwinden. Hochschulen, Einkaufszentren oder Messegelände und Flughäfen könnten als Orte mit hohem Verkehrsaufkommen sinnvoll angebunden werden. „Die modernste Umlaufseilbahn befördert bis zu 6.000 Fahrgäste je Stunde und Richtung, das ist durchaus mit einer einfachen Straßenbahnstrecke vergleichbar“, erläutert der Experte vom KIT.

Ein ganz wichtiger Faktor für Kommunen wie das im Talkessel mit schlechter Luft gelegene Stuttgart: Seilbahnen verursachen keine Emissionen, wenn sie mit Strom fahren, der aus erneuerbaren Energien stammt. Hinzukommt, dass Bau und Unterhalt verglichen mit anderen Verkehrsmitteln günstiger sind. Benötigt werden einige Masten, die Stationen können relativ klein ausfallen, so dass auch der Land- und Ressourcenverbrauch niedrig ist.

Vielleicht schwebt künftig eine Seilbahn im öffentlichen Nahverkehr über der Landeshauptstadt Stuttgart. Foto: Fotolia - MG, Fotolia - Tobias; Montage: Monika Haug

Vielleicht schwebt künftig eine Seilbahn im öffentlichen Nahverkehr über der Landeshauptstadt Stuttgart. Foto: Fotolia – MG, Fotolia – Tobias; Montage: Monika Haug

In Stuttgart soll eine Machbarkeitsstudie zu vier möglichen Strecken bis zum Sommer 2019 klären, ob künftig eine Seilbahn im öffentlichen Nahverkehr über der Landeshauptstadt schwebt. Verkehrsminister Winfried Hermann kann sich vorstellen, den wachsenden Stadtteil Vaihingen so zu versorgen. „Urbane Seilbahnen können mit einem vergleichsweise geringen Flächenverbrauch das Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel dort erweitern, wo der Ausbau anderer Verkehrsträger zu teuer oder gar nicht mehr möglich ist“, sagte er. Allerdings müssten die Kabinen durch gute Umsteigemöglichkeiten in das bestehende Netz integriert werden.

Schnelle Umsetzung und niedrige Investitionen

Bislang bedurfte es einer Großveranstaltung, damit ähnliche Projekte im städtischen Raum überhaupt Realität wurden – in Berlin und Koblenz war es jeweils eine Gartenschau. Am Deutschen Eck befördern seither 18 Kabinen jeweils maximal 35 Personen über den Rhein hinauf zur Festung Ehrenbreitstein, das sind bis zu 7.600 Passagiere pro Stunde und Richtung. Eigentlich sollte die Verbindung nach dem Ereignis 2011 wieder demontiert werden, aber Bürgerproteste sicherten ihren Erhalt, zumindest bis 2026. Auch die Berliner Bahn über den Gärten der Welt im Stadtteil Marzahn fährt nach der Internationalen Gartenausstellung 2017 zunächst drei Jahre weiter, losgelöst vom Nahverkehr.

Die Berliner Bahn fährt nach der Internationalen Gartenausstellung 2017 zunächst drei Jahre weiter, losgelöst vom Nahverkehr. Foto: Leitner Ropeways. Foto: Leitner Ropeways

Die Berliner Bahn fährt nach der Internationalen Gartenausstellung 2017 zunächst drei Jahre weiter, losgelöst vom Nahverkehr. Foto: Leitner Ropeways.

„Seilbahnen sind interessant, denn sie versprechen bei großer Kapazität eine relativ schnelle Umsetzung und relativ niedrige Investitionen. Für die sinnvolle Einbindung in den öffentlichen Nahverkehr müssen sich Städte aber dennoch auf die üblichen komplexen Planungsprozesse einstellen“, sagt Max Reichenbach. Er verspürt inzwischen eine weitaus größere Offenheit bei dem Thema, auch im Dialog mit Bürgern. Denn Seilbahnen ziehen eine neue Ebene in das Verkehrsgeschehen ein, werden von keiner Ampel und keinem Stau aufgehalten, sondern halten konstant ihre Geschwindigkeit. Die Passagiere müssen auf Komfort nicht verzichten, moderne Gondeln können mit Batterien und Solaranlagen beheizt oder auch gekühlt werden und behindertengerecht sind sie auch.

Bonn, Dachau, Düsseldorf, Ingolstadt, Kiel, Konstanz, Pforzheim, Rottweil, Reutlingen, Stuttgart oder auch Wuppertal beschäftigen sich mit dem Thema Seilbahn, von ersten Ideen bis hin zu konkreten Trassenvorschlägen. So wird in München geprüft, ob eine viereinhalb Kilometer lange Strecke in der Luft eine Lücke im Nahverkehr schließen kann. Die Konkurrenz zwischen den beiden Landeshauptstädten Stuttgart und München beschleunigt möglicherweise den Umsetzungsprozess. Immerhin geht es darum, europaweit als erste Großstadt eine Seilbahn ins Nahverkehrssystem zu integrieren, die nicht touristischen Zwecken dient.

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