Huch, hoch!
Wer schon beim Vier-Meter-Brett wackelige Beine bekommt, sollte unbedingt mal einen Arbeitstag mit José Calvache verbringen. Der prüft in luftigen Höhen Kräne für DEKRA in Frankreich. Bleibt nur eine Frage: Was ist stabiler – der Kran oder Josés Nerven?

Hoch hinaus: José Calvache fährt in einem Korb am Kranausleger entlang, um ihn zu inspizieren. Unter ihm sind es 35 Meter bis zum Boden. Foto: Jean-Claude Winkler Photography
Oben: Blauer Himmel, Sonnenschein. Unten: 32 Meter Abgrund. Und mitten drin steigt José Calvache seelenruhig die Stufen im Turm eines Kranes hinauf. Calvache ist Kranprüfer an der Niederlassung der DEKRA Industrial SAS in Lyon. Sein heutiges Prüfobjekt, ein Turmdrehkran des französischen Herstellers Potain, steht rund sechs Kilometer vom Zentrum entfernt auf einer Wohnhaus-Baustelle. Über Sonnenschein freut sich ja eigentlich jeder, aber für nur wenige ist das Wetter bei der Arbeit eine sicherheitsrelevante Größe, die es einzukalkulieren gilt. „Perfekte Bedingungen“, befindet José gutgelaunt. Mit Sicherheitsschuhen, -weste, Helm, Handschuhen und Kletterausrüstung steigt er schwungvoll bis zur Plattform des Krans hinauf, auf der eine drehbare Kabine montiert ist.
„Weißt du, es ist ganz einfach“
Eine Abnahmeprüfung ist in Frankreich vor der erstmaligen Inbetriebnahme eines Krans zwingend vorgeschrieben. Danach muss der Kran einmal im Jahr geprüft werden – obwohl das sehr selten vorkommt, weil er davor meist ab- und auf einer anderen Baustelle wiederaufgebaut und erneut geprüft wird. Rund drei Stunden sind für diese Prüfung veranschlagt. Für Menschen mit Höhenangst eine nicht enden wollende Ewigkeit. Und für José? „Weißt du, es ist ganz einfach“, sagt der. „Ich konzentriere mich voll und ganz auf die Prüfung, auf meinen Auftrag, und blende so die Angst aus, die natürlich immer da ist.“ José ergänzt: „Wenn Du einen exakten Plan hast, der die große Aufgabe in viele kleine Einzelteile aufteilt, fällt die Fokussierung auf das Wesentliche viel leichter. Die große Herausforderung wirkt dann auf einmal überhaupt nicht mehr so groß.“ In seinem Arbeitsleben vor DEKRA war der 47-Jährige Helikopter-Mechaniker bei der französischen Armee. Auf seinen Job als Prüfer hatte ihn dann eine spezielle, 20-tägige Schulung vorbereitet. Heute ist er Teil eines fünfköpfigen Spezialistenteams an der Niederlassung Lyon.
Da bleibt keine Schraube locker
Auf der Plattform lässt sich José Calvache zunächst vom Monteur des Krans die einzelnen Montageschritte bestätigen und geht mit ihm eine Checkliste durch. Kurz darauf besteigt er den 40 Meter langen, rot lackierten Ausleger, um alle Schrauben und Bolzen selbst zu überprüfen. Nach einem beherzten Zug am Stahlseil steigt er in einem Wartungskorb, der motorbetrieben entlang des Auslegers 40 Meter bis ganz nach vorne fährt. An einzelnen Stellen hält er an, hakt sich mit Seil und Schäkel ein und steigt so gesichert aus dem Korb auf den Ausleger, um die Verbindungen zu inspizieren. Puh. Schon das Zuschauen kann Schweißausbrüche verursachen.

Hebetest: Blick in 35 Meter Tiefe, wo die Testgewichte am Haken des Krans hängen. Foto: Jean-Claude Winkler Photography
Stabiler Kran, stabile Nerven
Zur Abnahmeprüfung des Krans gehört auch ein Hebetest, der den Kran über das zulässige Gewicht hinaus belastet und so die Stahlseilwinde zum Blockieren bringt. Ganz vorne an der Spitze des Auslegers kann der Kran maximal sechs Tonnen Gewicht tragen. Betonblock für Betonblock wird am Kran eingehängt – bis schließlich 7,5 Tonnen am Ausleger hängen. 1,5 Tonnen mehr als erlaubt. Die Konstruktion hält es aus, der Test ist bestanden. Beim anschließende Nachschaukeln wackelt es kräftig. José Calvache bleibt ruhig. Zwei- bis dreimal pro Woche führt er solche Kranabnahmen durch. Außerdem prüft er auch Aufzüge, Gerüste und Hubsteiger. Der höchste Kran, den er je bestiegen hat, maß 120 Meter Höhe. Da muss selbst José zugeben: „Da musste ich wirklich meinen ganzen Mut sammeln, um da hoch zu klettern.“

Autor Alexander Föll (Bild) begleitete den Kranprüfer José Calvache einen Tag lang. Foto: Jean-Claude Winkler Photography
Hinter den Kulissen
Für José war sie sicherlich Routine, für mich (und den Fotografen) war die Kranprüfung in Lyon alles andere als das. 35 Meter hören sich nicht wirklich hoch an, aber die eher spontane Besteigung des Krans kostete Kraft und wurde oben mit einem sensationellen Ausblick belohnt. Die Kollegen setzten alles daran, uns ihren Arbeitsalltag begreiflich zu machen.