Automarken: Mit Vollgas ins Geschichtsbuch

Author: Joachim Geiger

26. Okt. 2022 Sicherheit im Verkehr

Autobauer wie Borgward, Glas und NSU sind vielen Menschen auch heute noch ein Begriff. Wie aber kommt es, dass sich diese Größen alle vom Markt verabschiedet haben? Ein Streifzug durch die Markengeschichte mit dem Oldtimer-Experten Andreas Lahne von DEKRA Classic Services.

Eine Lehre aus der Automobilgeschichte scheint sonnenklar: Leidenschaft, technisches Know-how und tolle Autos reichen alleine nicht aus, um auf längere Sicht ein erfolgreiches Unternehmen zu stemmen. Klar ist aber auch: In der Geschichte geht es nicht immer gerecht zu. Immerhin besitzt manche Marke, die längst vom Markt verschwunden ist, heute immer noch genauso viel Strahlkraft wie zu ihren besten Zeiten. Die Probe aufs Exempel könnte ein Blick auf die Zeitenwende der 1950er- und 60er-Jahre liefern. „Das Wirtschaftswunder hat in Deutschland eine rasante Entwicklung in Gang gesetzt. Für die Industrie ging es darum, das Auto und die Mobilität der Menschen neu zu erfinden“, erklärt Oldtimer-Experte Andreas Lahne, der die Aktivitäten der DEKRA Classic Services koordiniert. Unternehmen wie Borgward, Glas und NSU waren gewissermaßen die Startups ihrer Zeit, auch wenn es damals weder Business Angels noch Crowdfunding und Seed-Finanzierung gab. Trotzdem schafften sie es, automobile Legenden auf die Räder zu stellen.
Das Wirtschaftswunder brachte dem Automobil eine Zeit rasanter Entwicklungen
Das bildschöne Isabella Coupé zum Beispiel, das beim Automobilpionier Carl Friedrich Wilhelm Borgward 1957 in Bremen vom Band lief, avancierte zum Traumwagen des Wirtschaftswunders. Hans Glas im bayerischen Dingolfing konzentrierte sich in den 60ern auf elegante Limousinen der Mittelklasse mit hochmodernen Motoren, bei denen ein Zahnriemen die Nockenwelle antrieb. Das Spitzenmodell war der Glas 2600 V8 – ein spektakulär gezeichnetes Gran-Tourismo-Coupé, das auf den Karosserie-Designer Pietro Frua zurückgeht. Eine andere Design-Ikone entwickelte zur gleichen Zeit NSU in Neckarsulm. Der Ro 80 war ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, das im Hinblick auf Technik, Aerodynamik und Fahrkomfort Maßstäbe setzen sollte. Aber warum sind diese innovativen Hersteller am Ende vom Markt verschwunden? Die Gründe für das Scheitern stellen Liebhaber dieser Marken, Historiker und Oldtimer-Fans noch vor manches Rätsel: Lag es am Produkt? Am Management? Oder waren die Ambitionen vielleicht zu hoch?
Borgward war in den 1950ern einer der großen Stars der Automobilbranche
Bei Carl Friedrich Wilhelm Borgward kamen wohl mehrere Faktoren zusammen. Einerseits war der begnadete Ingenieur in den 1950ern ein Star der Autobranche – unter dem Dach seiner Firmengruppe fanden sich die Marken Borgward, Llyod und Goliath, die vom Kleinwagen und Transporter bis hin zur Luxuslimousine ein breites Spektrum an Fahrzeugen anboten. Andererseits sagt man Borgward nach, dass er sich für die finanziellen Belange seiner Firmengruppe eher wenig interessiert hat. Synergien zwischen den Firmen? Eine gemeinsame Plattform für verschiedene Modelle? Das war damals in Bremen noch Zukunftsmusik. Die Unternehmen der Borgward-Gruppe wirtschafteten auf eigene Rechnung, mit eigenem Einkauf und eigener Entwicklungs- und Versuchsabteilung. Auf diese Weise entstanden auch Autos, für die es keinen Markt gab. 1961 wurde über den Bremer Automobilhersteller das Konkursverfahren eröffnet.
Hans Glas setzte bei der Modellentwicklung auf sehr hohes Tempo
Für Hans Glas und NSU sollten die 1960er die entscheidenden Jahre werden. Die Parallelen zwischen diesen Autobauern liegen auf der Hand: Beide nahmen mit ihrer Modellpolitik die Mittelklasse ins Visier, beide verfolgten die gleiche ehrgeizige Strategie: Hier wie dort entstanden fast im Jahresrhythmus neue Modelle und Versionen – bei Glas etwa der sportliche Glas 1700, bei NSU der Prinz 4 mit neuem Design, das sich an den Chevrolet Corvair anlehnte. Doch der Preis für das enorme Tempo war hoch. Schließlich kostet die Automobilentwicklung jede Menge Geld. Wenn dann die Nachfrage ausbleibt, können die Ressourcen schnell abschmelzen. Heute weiß man, dass beide Unternehmen im Grunde ständig knapp bei Kasse waren. Im Gegensatz dazu waren die bereits vor dem Krieg etablierten Hersteller wie Mercedes-Benz, BMW und Opel finanziell deutlich besser aufgestellt. Die Folgen seiner riskanten Strategie bekam Hans Glas bald zu spüren – ihm fehlten schlicht die Mittel, um eine Großserienproduktion für seine Fahrzeuge aufzubauen. Die Stückzahlen blieben bescheiden und fuhren die Entwicklungskosten nicht annähernd ein. Im November 1966 übernahm BMW das Unternehmen.
NSU gelang mit dem Ro 80 ein Meisterwerk der Ingenieurskunst
Das Schicksal von NSU hing am Ende vor allem am Wankelmotor, den das Unternehmen seit Beginn der 1950er-Jahre stetig weiterentwickelt hatte. Aber schon das erste Fahrzeug mit dieser Technologie – der 1964 eingeführte NSU Wankel Spider – erwies sich als Fehlschlag. Auch dem drei Jahre später vorgestellten NSU Ro 80 mit einem Zwei-Scheiben-Wankelmotor unter der Haube ging es nicht besser. Die Limousine war ihrer Zeit zwar voraus, fiel aber nicht zuletzt wegen zahlreicher Probleme mit dem neuartigen Triebwerk bei den Kunden durch. Vollends prekär wurden die Finanzen bei NSU, weil man seit Mitte der 1960er mit dem K 70 ein weiteres Modell entwickelt hatte, das mit Frontantrieb und wassergekühltem Front-Reihenmotor das Spitzenmodell Ro 80 ergänzen sollte. Die enorm hohen Entwicklungskosten brachten das Fass zum Überlaufen – 1969 kam es zur Fusion mit dem Konkurrenten Auto Union.
Die Marken DAF und Saab hatten in Europa eine treue Fangemeinde
Innovative Technik und unverwechselbare Fahrzeuge haben sich übrigens auch die Marken DAF und Saab auf die Fahne geschrieben. Zwar fanden weder die Niederländer noch die Schweden auf dem europäischen Markt ein größeres Publikum – dafür aber eine treue Fangemeinde. Im Fall der urigen Kleinwagen vom Schlag eines DAF 600 galt die Sympathie vor allem der Variomatic – einer stufenlosen Keilriemenautomatik mit Fliehkraftkupplung, die ein ruckfreies Fahren ermöglichte. Allerdings machten rostanfällige Karosserien und überschaubare Fahreigenschaften dem Image der Marke früh zu schaffen. Unterm Strich blieb für DAF der Ausflug ins Pkw-Geschäft eine Episode – angesichts einer schwachen Kapitaldecke entschieden sich die Niederländer Mitte der 1970er für die Weiterführung ihrer Lkw-Sparte. Der Marke Saab dagegen war eine längere Modellgeschichte beschieden. Den deutschen Markt erschlossen sich die Schweden seit 1973 durch eine Niederlassung in Frankfurt am Main. Aerodynamisches Design, Turbotechnologie und Sicherheitstechnik wie ein Seitenaufprallschutz in den Türen prägten den Auftritt der Marke ebenso wie die Eigenheit, das Zündschloss in der Mittelkonsole zu verbauen. Modelle wie der Saab 99 galten bald als Autos für Nonkonformisten. Das Erfolgsrezept der Schweden lag lange darin, dass sie ihre Modellpolitik in enger Kooperation mit Partnern wie Triumph, Lancia, Fiat und Alfa Romeo gestalteten. Anfang der 1990er landete man jedoch bei General Motors. Dort verlor Saab zunehmend seinen Markenkern – als GM 2008 selbst in schweres Fahrwasser geriet, kam drei Jahre später für Saab das Ende.
Der Trabant schreibt ein Kapitel in der Geschichte des Automobils
Auch der Trabant des VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau hat zweifellos ein Stück Automobilgeschichte geschrieben. Strategische Einsichten sollten ambitionierte Startups daraus allerdings eher nicht ableiten. Schließlich durfte der 1964 eingeführte Trabant 601 – sozusagen der Volkswagen der DDR – nahezu unverändert ein Vierteljahrhundert lang ein unaufgeregtes Autoleben führen. Als die Mauer fiel, wurde er von Fahrzeugen mit moderner Technologie förmlich überrollt. Am 30. April 1991 endete die Produktion des Kleinwagens nach über drei Millionen Einheiten.