Wearables: Ein vermessener Trend
Wearables liegen voll im Trend. Smartwatches zählen jeden unserer Schritte, messen Herzfrequenz und Schlafverhalten. Das ständige Datensammeln soll helfen, die eigene Fitness zu verbessern – es kann aber auch die Psyche belasten.

Smartwatches haben den höchsten Anteil unter den „Wearables“ – also am Körper getragener Elektronik. Foto: Fotolia – Production Perig
Das Ziel sind 10.000 Schritte am Tag. Zumindest wenn es nach Woody Scal, Vertriebschef und Vorstandsmitglied beim Hersteller Fitbit geht. Die Armbänder und Tracking-Sensoren dieses Herstellers haben den Trend zum „Self-Tracking“ mitbegründet. Gerade bei Sportbegeisterten fanden die Bewegungs-Sensoren und die damit ermöglichte Selbst-Vermessung regen Zuspruch. Das eigene Bewegungsverhalten, aber auch Körperfunktionen wie Herzschlag oder Schlafzeiten zu erfassen und mithilfe von Apps oder Computer-Plattformen zu analysieren, ist ein rapide wachsender Trend. Den dafür etablierten Begriff „Quantified Self“ prägten die kalifornischen Technikjournalisten Gary Wolf und Kevin Kelly, die seit 2007 unter Forum auf quantifiedself.com einen Blog zum Thema betreiben.
Sport-Tracker sind die neuen Stoppuhren und Maßbänder
2017 wurden laut dem Marktforschungsunternehmen Gartner rund 310 Millionen Wearables verkauft. Das entspricht gegenüber dem Vorjahr einem Marktwachstum von 17 Prozent. Den Löwenanteil davon machen mittlerweile allerdings Smartwatches aus. „Der Geschmack der Nutzer hat sich von Fitness-Armbändern zu Smartwatches weiterentwickelt“, berichtet Ramon Llamas, der beim Gartner-Mitbewerber IDC für Wearables verantwortliche IDC-Manager. Und Angela McIntyre, Research Director bei Gartner, bestätigt: „Smartwatches sind dabei, bis 2021 das größte Umsatzpotenzial aller Wearables zu erreichen.“
Eine gerade für Freizeitsportler zunehmend wichtige Rolle spielen die Daten, die von Apple Watch, Samsung Gear, Garmin vivoactive, Polar, Suunto und vielen anderen Geräten mit Fitness-Sensoren erfasst werden. „Im Sport ging es schon immer um die objektive Messung von Leistung“, erläutert der Sportwissenschaftler Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. So gesehen ist die Erfassung und Analyse von Schrittzahlen, Pulsfrequenzen und vielem mehr nur die konsequente Fortführung von Stoppuhr und Maßband. Neu ist jedoch, dass jeder Hobbysportler sein eigenes Leistungsprofil genau analysieren und über längere Zeiträume verfolgen kann. Sport wird somit zum digitalen Erlebnis.
Je nach Typus des Sportlers helfen ansteigende Fitnesskurven in Apps und Analyseplattformen auch bei der Motivation und dem Steigern von Trainingserfolgen. Dabei steht nicht nur die Entwicklung der eigenen Werte im Vordergrund, sondern stets auch der Vergleich mit Gleichgesinnten. Die Auswertungsplattformen von Fitbit, Garmin, Nike, Tomtom und vielen anderen bieten deshalb immer die Möglichkeit, die eigenen Leistungsdaten mit denen anderer Nutzer zu vergleichen. Nutzer der Lauftrainings-App Runtastic posten ihre Touren und Zeiten auf Facebook und stellen sich damit dem Urteil ihrer Freunde und Kollegen.
Während sich in den genannten Plattformen eher die ambitionierten und gut trainierten Freizeitsportler treffen, spielen Tracking- und Sport-Apps aber ebenso für Einsteiger und Gelegenheitssportler eine wichtige Rolle. Hier geht es dann häufig um die Überwindung des inneren Schweinehunds. Auch dabei helfen Likes und motivierende Kommentare von Freunden. Oder aber Apps wie „Runtastic Story Running“, „Tracks“ oder „Zombies Run“, die das Lauftraining in aufwendige Computerspiel-Szenarien einbetten. Wer vor Zombies beziehungsweise bei „Tracks“ vor zwei Meter großen Monstern flieht oder in Actionhelden-Manier auf der Suche nach seiner Identität oder dem entführten Lebenspartner durch die Stadt rennt, vergisst streckenweise, dass er eigentlich gerade ein clever geplantes Intervalltraining absolviert. „Gamification“ heißt dieser Trend, bei dem die Entwickler von Sport-Apps mit denen von Computerspielen zusammenarbeiten.
Drei Fragen an Dr. Ingo Froböse, Sportwissenschaftler, Deutsche Sporthochschule Köln
Bieten Smartwatches und Tracker einen echten Nutzen für Freizeitsportler?
Ja, da solche „Gadgets“ die Trainingsleistung dokumentieren, helfen sie Anfängern, ihre Leistungsfähigkeit besser einzuschätzen. Besonders am Anfang sind schnelle Fortschritte zu verzeichnen, und das motiviert, weiterhin Sport zu treiben. Allerdings wird nach sechs bis acht Wochen die Leistung nicht mehr so rapide ansteigen. Dann heißt es, die Motivation mit anderen Mitteln, wie etwa Belohnungen, aufrechtzuerhalten.
Auf welche Messwerte sollte man besonders achten?
Pulsmessung, Stoppuhr, Schrittzähler und zurückgelegte Distanzen sind nützlich, verbrauchte Kalorien oder Schlafphasen hingegen oft zu komplex. Daten, die vom Konsumenten nicht sinnvoll ausgewertet werden können, sollten weggelassen werden.
Welche Rolle spielen digitale Systeme in der Trainingsoptimierung von Profis? Können sich private Nutzer etwas abschauen?
Digitale Sensoren spielen im Profisport für Trainingsdokumentation und -steuerung eine immer größere Rolle. Doch allein von einem Fitness-Tracker am Handgelenk verbessert sich die sportliche Leistung nicht. Dafür muss man schon selbst etwas tun!
Auch Profisportler nutzen digitale Trainingshelfer
So wie die Digitaltechnik Hobbysportlern aller Leistungs- und Trainingsstufen hilft, hat sie selbstverständlich auch längst in den Profisport Einzug gehalten. So projiziert etwa das System climbtrack gespeicherte Kletterrouten und vorher aufgezeichnete Aktionen des Sportlers an die Wände von Kletterhallen. „Die gekletterten Routen werden vom System erkannt und in der persönlichen Fitness-Historie zur späteren Analyse gespeichert“, erläutert Felix Kosmalla, Mitbegründer von climbtrack, das Prinzip. „Mit dem Tracken der gekletterten Routen kann der Nutzer sich auf seinem ganz individuellen Niveau verbessern.“
„Blended Learning“ ist der Fachbegriff, der solche Kombinationen aus Digitaltechnik und analoger Bewegung charakterisiert. Und was einzelnen Kletterern hilft, ist auch für Mannschaftssportler interessant. So bietet etwa die australische Firma SPT mit „GameTraka“ ein Tracking-System an für komplette Fußball-, American-Football-, Rugby- oder Hockey-Mannschaften. Jeder Spieler trägt ein rund 80 Gramm leichtes Sensorgerät, das die Position des Spielers auf dem Spielfeld, Bewegungsabläufe, Laufstrecken und weitere Daten erfasst. Zusätzliche am Spielfeldrand installierte Sensoren liefern Daten über Ballbesitz, Torchancen und Ähnliches. Die eigentliche Intelligenz steckt aber in der zugehörigen Analysesoftware, die etwa mit „Heatmaps“ (Wer hielt sich wie lange an welcher Stelle des Spielfelds auf?) dabei hilft, Strategie und Zusammenspiel der Mannschaft zu optimieren.

Digitalisierung und Self-Tracking multiplizieren die Möglichkeiten, die eigene Gesundheit zu verbessern. Foto: Fotolia – Robert Kneschke
Doch das Tracking von Bewegungs- und Gesundheitsdaten hat noch weitere Dimensionen als die Leistungsverbesserung von Sportlern. So stellt etwa Jeanette Huber, Associate Director des in Frankfurt und Wien ansässigen Zukunftsinstituts, fest: „Gesundheit wurde zu einer primär selbstverantwortlichen Aufgabe jedes Einzelnen erklärt.“ Darüber sei Gesundheit und Gesundheitswissen zu einer gesellschaftlichen Erwartung geworden. Digitalisierung und Self-Tracking vervielfachten die Möglichkeiten, die eigene Gesundheit zu managen und zu verbessern. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den Alltag im Gesundheitswesen. So weist Nils B. Heyen, der das „Quantified Self“-Projekt am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI leitet, darauf hin, dass sich Ärzte auf einen neuen Patiententypus einstellen müssen: „Durch die Selbstvermessung bringen solche Patienten eine hohe Selbstexpertise und eigene Daten mit. Mediziner müssten dann dabei helfen, die richtigen Schlüsse aus den erhobenen Daten zu ziehen.“ Zumal nicht alle Tracker ausreichenden Qualitätsstandards entsprächen.
Fernando E. Hardasmal, Geschäftsführer des DEKRA Geschäftsfelds Testing & Certification, ergänzt: „Aus diesem Grund testen und zertifizieren wir Wearables wie Smartwatches und Fitness-Tracker. Wer mithilfe dieser Geräte seinen Lebensstil oder sein sportliches Training optimiert, muss sich absolut darauf verlassen können, dass sich Smartwatches und Tracker zuverlässig mit seinem Smartphone verbinden, dabei betriebssicher und unempfindlich gegen Störungen arbeiten und auch ihrerseits keine anderen Geräte in der Umgebung stören.“ Sein Bereich führt solche Tests etwa für die finnischen Hersteller Polar und Suunto durch. Hinzu komme ein weiterer Aspekt: Die sensiblen Daten müssen auch sicher verwahrt sein – in den Geräten sowie den zugehörigen Apps und Plattformen.
Hohes Missbrauchspotenzial für Fitnessdaten
Denn individuelle Gesundheitsdaten wecken Begehrlichkeiten. Schließlich könnten sich etwa Versicherungen, Banken oder Arbeitgeber für die digital erhobenen und gespeicherten Details über Gesundheit und Fitness ihrer Kunden oder Angestellten interessieren. Schon bieten Versicherungen wie etwa Generali ihren Kunden Rabatte bei Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, wenn sie mit Wearables einen gesunden Lebensstil nachweisen. Datenschützer warnen vor Missbrauchsmöglichkeiten und negativen Konsequenzen für die Nutzer. Der Gesetzgeber sei aufgefordert, durch regulatorische Vorgaben die Rechte der Verbraucher zu schützen.
Und das sind „nur“ Gefahren für den Einzelnen. Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, warnt etwa in seinem Buch „Das metrische Wir“, dass sich heute jeder mit jedem messe. Einkommen, Schrittzahl, Likes bei Facebook – der Dauerwettkampf untergrabe den Zusammenhalt. „Die Quantifizierung des Sozialen heißt eben zugleich Spaltbarkeit des Sozialen“, schreibt Mau. Bei allen positiven Auswirkungen auf Fitness und Gesundheit sollte die Gesellschaft die Schattenseiten und Risiken der Selbst-Quantifizierung daher im Blick behalten und den negativen Auswüchsen rechtzeitig gegensteuern.
Spezialuhr: Die Torlinientechnik bei der WM 2018

Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus während eines Bundesliga-Fußballspiels. Die Spezialarmbanduhr signalisiert gültige Tore. Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images
In europäischen Fußball-Ligen wie der Deutschen Bundesliga oder der spanischen „La Liga“ wird der „Videobeweis“ längst genutzt. Nun soll er auch bei der Fußball-WM 2018 in Russland zum Einsatz kommen. Das International Football Association Board (IFAB) hat ihn im März 2018 in die WM-Regeln aufgenommen – für unklare Torentscheidungen, Abseitssituationen, Rote Karten und Elfmeter. Seit der WM 2014 sind zudem Torlinientechnologien wie GoalRef, Hawk-Eye und GoalControl-4D zugelassen. GoalRef wurde vom deutschen Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS entwickelt.
Dabei lokalisieren Sensoren den Ball anhand eines Magnetfelds, das im Fußball eingebaute Spulen erzeugen. Bei Hawk-Eye und GoalControl beobachten Hochgeschwindigkeitskameras den Torraum, Computer-Bildanalysen ermitteln die Ballposition. Zur Absicherung und für die Übertragung der Infos an den Schiedsrichter lassen sich diese Systeme mit GoalRef kombinieren.