Click & Drive

Author: Matthias Gaul

10. Mai 2023 Digitalisierung

Die zunehmende Verlagerung des Automobilgeschäfts in digitale Kanäle spiegelt sich auch im Zuwachs an Online-Plattformen für Gebrauchtwagen wider. Die Fahrzeuge bekommt man auf Wunsch zugelassen bis vor die Haustüre geliefert.

Früher war alles ganz einfach: Potenzielle Gebrauchtwagenkäufer sichteten die Annoncen der Händler in Tageszeitungen und Fachmagazinen, nahmen Kontakt auf und gingen dann ins Autohaus, um sich das gute Stück anzusehen und vor Ort unter Umständen auch gleich zu kaufen. Dieses Szenario gibt es so zwar grundsätzlich nach wie vor, doch die Digitalisierung schreitet in dieser Branche massiv voran. Zum einen haben die meisten Händler selbst das „digitale Autohaus“ für sich entdeckt. In gleichem Maße gilt dies auch für Anbieter, die Leasingrückläufer oder Mietfahrzeuge im Netz verkaufen. Zum anderen wächst unaufhörlich die Zahl der entsprechenden Online-Plattformen, Start-ups schießen wie Pilze aus dem Boden. Wie viele davon überleben, wird sich zeigen. Aber aktuell brummt der Markt.
So hat zum Beispiel die AUTO1 GROUP, nach eigenen Angaben Europas führende digitale Automobilplattform für den Online-Kauf und -Verkauf von Gebrauchtwagen, 2022 in mehr als 30 Ländern knapp 650.000 Fahrzeuge über ihre Webseiten und Apps verkauft. Zum Vergleich: 2017 waren es 420.000 – das bedeutet bis heute einen Zuwachs von annähernd 55 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg bei der über Zukäufe mittlerweile in Frankreich, Spanien, Belgien, Österreich, Italien und im Vereinigten Königreich tätigen Aramis Group die Zahl der online verkauften Fahrzeuge von rund 36.000 auf zirka 82.000.
Für den Zeitraum von 2020 bis zum Jahr 2025 prognostizierte eine im April 2021 erschienene Studie der Unternehmensberatung Roland Berger einen Zuwachs der Online-Verkäufe gebrauchter Fahrzeuge von 13 Prozent in den USA und 18 Prozent in Europa. Allein in Deutschland soll sich laut einer Marktwachstumsprognose der Unternehmensberatung McKinsey der Umsatz für Online-Verkäufe von Gebrauchtwagen bis zum Jahr 2025 auf rund 10 Milliarden Euro erhöhen. Und eine letzte Zahl: Ein Analystenteam der schweizerischen Großbank UBS erwartet, dass das Internet bis 2030 die Hälfte aller Autoverkäufe ausmachen wird – ein nicht unerheblicher Teil des Kuchens dürfte dabei auch auf Gebrauchtfahrzeuge entfallen.
Sorgfalt ist oberstes Gebot
Das Kaufprozedere ist bei den verschiedenen Online-Plattformen überwiegend einfach gehalten. In den Online-Shops kann man aus dem zumeist großen Angebot sein Wunschmodell unter anderem nach Marke, Modell, Erstzulassung, Kilometerlaufleistung, Antriebsart und vielen weiteren Kriterien herausfiltern. In weiteren Schritten werden dann Aspekte wie Finanzierung, Zulassung und Lieferung geklärt. Steht das Auto schließlich vor der Tür, hat man Zeit, es erst mal zu testen. Sollte es nicht gefallen, gewähren die Anbieter zumeist ein Rückgaberecht innerhalb von beispielsweise 14 oder 21 Tagen. Für diesen Fall sollte man zuvor jedoch abgeklärt haben, wie viele Kilometer man in der „Probephase“ zurücklegen darf.
Wie bei allen Online-Geschäften ist auch beim Gebrauchtwagenkauf per Click ein Betrug nicht grundsätzlich auszuschließen. Deshalb arbeiten zum Beispiel in Deutschland der ADAC, die Polizei sowie die Plattformen Autoscout24, mobile.de und Ebay Kleinanzeigen in der „Initiative Sicherer Autokauf im Internet“ zusammen. Ziel ist es, Nutzer von Online-Autobörsen für Sicherheitsfragen rund um den Autokauf und den Autoverkauf zu sensibilisieren, umfassend zu informieren und konkrete Hilfestellungen zu geben. Betrugsmethoden gibt es nach Angaben der Initiative zur Genüge. So sollte man – um nur ein Beispiel anzuführen – bei überraschend günstigen Importfahrzeugen vorsichtig sein. Das angebotene Auto könnte ein Import aus den USA sein, das dort als nicht mehr straßentauglich deklariert wurde und daher nicht mehr verkauft werden darf. Fahrzeuge mit Unfallschäden würden nach Angaben der Initiative teilweise nach Europa exportiert, in Ländern wie Polen oder Litauen möglichst billig und nicht fachgerecht repariert und dann als „Schnäppchen“ weiterverkauft. Die Aussichten auf Regress sind in diesem Fall gleich null. Aber so weit muss es bei der nötigen Sorgfalt ja erst gar nicht kommen. Worauf Gebrauchtfahrzeugkäufer besonders achten sollten, erfahren Sie im Interview mit Michael Tziatzios, Leiter Gebrauchtwagenmanagement bei der DEKRA Automobil GmbH.
Drei Fragen an Michael Tziatzios
Herr Tziatzios, worauf sollte man beim Gebrauchtwagenkauf per Click achten?
Tziatzios: Da man bei einem Online-Kauf ohne persönlichen Kontakt das jeweilige Fahrzeug in der Regel nicht vor Ort in Augenschein nehmen kann und vorab gewöhnlich auch keine Probefahrt möglich ist, kauft man bis zu einem gewissen Grad schon die sprichwörtliche Katze im Sack. Seriöse Anbieter dokumentieren aber die Fahrzeuge meist sehr detailliert mit Fotos und Zustands- und Mängelbeschreibungen oder Gebrauchsspuren. Im Idealfall ist das Fahrzeug auch mit einem Qualitätssiegel etwa einer unabhängigen Expertenorganisation versehen. So ist zum Beispiel das DEKRA Siegel für Gebrauchtfahrzeuge ein Zeichen dafür, dass der Fahrzeugzustand exakt und objektiv geprüft wurde. Eine Dienstleistung übrigens, mit der wir bundesweit beauftragt werden können.
Welche sind denn die wesentlichen Inhalte einer solchen Fahrzeugbewertung?
Tziatzios: Neben den allgemeinen Fahrzeugdaten wie Ausführung, Erstzulassung oder Laufleistung sowie der Serien- und Sonderausstattung inklusive Fahrerassistenzsystemen zählen hierzu auf jeden Fall Angaben zu wertsteigernden Faktoren wie auch notwendigen Reparaturen beispielsweise aufgrund von Verschleiß sicherheitsrelevanter Teile. Aufgelistet werden sollten unbedingt auch reparierte Unfallschäden. Nicht fehlen dürfen eine kritische Untersuchung des Innen-, Motor- und Kofferraums sowie der Karosserie samt Kontrolle der Unterseite mit Fahrwerk, eine Funktionsüberprüfung von Ausstattungsteilen und schließlich eine Probefahrt.
In Zukunft dürfte auf den Plattformen auch die Anzahl batterieelektrischer Gebrauchtfahrzeuge zunehmen. Da könnte sich dann beim Käufer die Frage nach der verbliebenen Akku-Kapazität stellen.
Tziatzios: Absolut richtig. Bedenken kann der Verkäufer aber ausräumen, indem er zuvor einen Batterietest durchführen lässt, wie ihn DEKRA seit Ende 2022 anbietet. Bei diesem Schnelltest in unseren Niederlassungen lesen wir verschiedene Batteriedaten wie Ströme und Spannungen unter Last – also bei einer kurzen Beschleunigung – über die On-Board-Diagnose-Schnittstelle aus. Anschließend ordnen wir die Messwerte mit Hilfe eines hoch komplexen Algorithmus und einer sehr aufwendig bestückten Datenbank ein. Anhand der typspezifischen Parameter ergibt sich dann der „State of Health“ der jeweiligen Batterie. Aktuell umfasst unsere Typenliste rund 80 Fahrzeugmodelle. Damit ist schon ein großer Teil des Bestandes an batterieelektrischen und Hybrid-Fahrzeugen in Deutschland abgedeckt. Ständig kommen aber noch weitere Modelle hinzu.