Eldorado für autonome Fahrzeuge
Im Hamburger Containerterminal Altenwerder sind Fahrzeuge ganz allein unterwegs – vom Fahrer fehlt jede Spur. Das geschlossene Areal ist ideal, um autonome Lkw zu erproben.

Im Hamburger Hafen transportieren autonome Fahrzeuge Container. Foto: HHLA
Das Automated Guide Vehicle Nummer (AGV) 89 fährt wie von Geisterhand geführt über das geschlossene Gebiet des Containerterminals. Im Hin und Her seiner 90 baugleichen Gefährte transportiert es Container zwischen der Brücke an der Kaikante und dem Containerlager. Völlig autonom und absolut präzise.
Wenn die Nutzfahrzeughersteller und Zulieferer dürften wie sie könnten, würden wohl schon morgen die ersten autonomen Lkw und Omnibusse die Straßen unter die Räder nehmen. Stattdessen muss die Branche bei den Behörden dicke Bretter bohren, damit sie ihre teilautomatisierten Fahrzeuge unter Aufsicht eines Fahrers zu Testfahrten auf öffentliche Straßen schicken darf. Dass eine künstliche Intelligenz ganz allein im Zusammenspiel mit Sensoren, Kameras und einer elektronischen Infrastruktur das Steuer im Nutzfahrzeug übernehmen könnte, ist daher noch Zukunftsmusik. Andernorts ist diese Endstufe in der Evolution des automatisierten Fahrens jedoch schon Realität. Vor allem die Produktions- und Lagerlogistik ist ein Eldorado für fahrerlose Systeme.
Fahrerlose Systeme sind in der Produktions- und Lagerlogistik auf dem Vormarsch
In einem solchen Eldorado ist auch das Automated Guided Vehicles Nummer 89 zu Hause. Unermüdlich sammelt es am Pier Container auf, die ein Kran bereithält. 19.000 in die Fahrfläche eingelassene Transponder mit Satellitenanbindung leiten jedes AGV so präzise, dass sie sich nie in die Quere kommen. An unsichtbaren Kreuzungen halten sie an, wenn sich ein anderes 34 Tonnen schweres blaues Fahrzeug nähert und liefern schließlich ihr Gut im Containerlager ab.
Auch der Automobilhersteller BMW setzt auf autonome Systeme. Im Werk Dingolfing setzt der Hersteller zur Versorgung der Montagebänder Routenzüge ein, die auf der Basis von Lasersignalen in der Halle navigieren. Stand der Technik sind auch autonome Flugförderzeuge. Der Automobilzulieferer ZF hat zuletzt auf der Hannover Messe einen mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Gabelstapler vorgestellt, der den Lagerort selbstständig ansteuert, die Ware übernimmt und zum Besteller transportiert. Der gemeinsame Nenner dieser fahrerlosen Systeme: Sie entfalten ihre Fahrkünste nicht draußen auf der Straße, sondern in abgeschlossenen Arealen. Die Gretchenfrage lautet daher, ob diese autonomen Fahrzeuge trotz dieser Beschränkung eine Blaupause für große Lkw und Busse abgeben können?
Das Fraunhofer IVI forscht an autonomen Trucks in Automatisierungszonen
Auf den ersten Blick ist der Sprung zu den schweren Kalibern natürlich gewagt. Immerhin liegen auf technologischer Ebene Welten zwischen den Systemen. Andererseits kann eine räumliche Eingrenzung Sinn machen, um die Entwicklung autonomer Nutzfahrzeuge zu befördern. Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) verfolgt derzeit zusammen mit mehreren Industriepartnern genau diesen Ansatz. Das auf eine Laufzeit von drei Jahren angelegte Forschungsprojekt „Auto Truck“ stellt sich die Aufgabe, autonome Lkw in eigens eingerichteten Automatisierungszonen einzusetzen. Dafür bietet sich der Betriebshof einer Spedition als ideales Trainingslager an. Dort findet der Verkehr im kleineren Maßstab unter ähnlichen Bedingungen wie im öffentlichen Raum statt, mit Hindernissen, Lenkmanövern und Fahrentscheidungen. Allerdings besteht in dieser geschlossenen Zone kaum Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Dafür sind die Geschwindigkeiten auf dem Betriebshof mit 15 bis 20 Stundenkilometern vergleichsweise niedrig, zudem haben unbefugte Personen keinen Zutritt zum Gelände.
Betriebshöfe von Speditionen sind das ideale Testfeld für selbstfahrende Lkw
„Gegenüber dem Straßenverkehr hat die Automatisierungszone den Vorteil, dass sich dort zulassungsfähige autonome Fahrzeuge schon in naher Zukunft einsetzen lassen“, erklärt Eric Gleitsmann vom Fraunhofer IVI, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Projekt „Auto Truck“ eingebunden ist. Ein besonderes Augenmerk gilt der Frage, wie ein solches Areal ausgestattet sein muss, damit ein hochautomatisiertes Fahrzeug darin eigenständig auf Achse sein kann. Das Testfahrzeug ist ein elektrifizierter Mercedes-Benz Axor von Orten Electric-Trucks, der mit seriennahen Komponenten am Start ist. Im technologischen Fokus der Wissenschaftler stehen unter anderem Ortung und Navigation. Wie Eric Gleitsmann berichtet, reicht ein reines GPS-System in komplexen Arealen wegen möglicher Abschattungen zur Bestimmung der exakten Position nicht aus. Die Projektpartner arbeiten daher an Kartensystemen, die eine Bestandsaufnahme der Verhältnisse auf dem Gelände erlauben. Ebenfalls auf den Agenda stehen die sichere Vermeidung von Kollisionen und die Car-2-Infrastructure-Kommunikation, bei der das Fahrzeug mit unterschiedlichen Sensorsystemen auf dem Betriebshof kommuniziert.
Der Lkw rangiert selbst und dockt dann automatisch an der Rampe an
Ein Szenario im Projekt „Auto Truck“ sieht vor, dass der Fahrer mit seinem Lkw zur Aufnahme einer Ladung auf dem Betriebshof seiner Spedition eintrifft. Er stellt das Fahrzeug auf seinem Platz in der Automatisierungszone ab, woraufhin der Zentralcomputer das Fahrzeug ins System übernimmt. Ab diesem Moment finden alle Fahraufgaben wie das Anfahren, Rangieren und Andocken an der Rampe sowie die Rückkehr an die ursprüngliche Parkposition im automatischen Modus statt. Im Forschungsprojekt halten die Wissenschaftler das Testfahrzeug in einem Online geschalteten Leitstand zur Kontrolle und Überwachung gewissermaßen an einer virtuellen Leine. Steht eine Transportaufgabe an, berechnet das System die erforderlichen Wege. Dabei berücksichtigt es die Geometrie des Fahrzeugs, feste Hindernisse und die Bahnen anderer autonomer Fahrzeuge. Die Daten übermittelt der Operateur im Leitstand an den Lkw. Einmal per Mausklick aktiviert, macht sich der Truck selbstständig auf den Weg.

Der Lkw von Orten Electric-Trucks ist Versuchsträger im Forschungsprojekt. Foto: IVI
Ende 2019 erfolgt der Praxiseinsatz des autonomen Systems in einer Spedition
Das Forschungsprojekt „Auto Truck“ reicht vorerst nicht über die Grenzen eines Betriebshofes hinaus. Den Fraunhofer-Wissenschaftlern zufolge sollen sich jedoch die eingesetzten Technologien wie Regelalgorithmen, Hinderniserkennung, Ortung und Kommunikation zwischen Lkw und Infrastruktur auf mittlere Sicht auf den Straßenverkehr übertragen lassen. Die Probe aufs Exempel folgt zum Abschluss des Projekts im Herbst 2019. Dann soll das Modell des automatisierten Betriebshofs beim Projektpartner Emons Spedition in Dresden den Referenzbetrieb aufnehmen.
In Altenwerder fahren derweil die autonomen Fahrzeuge ohne Unterlass 24 Stunden am Tag Container über den Terminal. Nummer 89 macht da keine Ausnahme.
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