Besser bewegt mit Motion Capturing
Beim Motion Capturing werden Bewegungen digital aufgezeichnet. Damit lassen sich aber nicht nur Fantasiewesen erschaffen oder Bewegungsabläufe verbessern, sondern ganze Arbeitssysteme revolutionieren.

Im spanischen Motorenwerk Valencia setzt Ford Body Tracking ein. Foto: Ford
Die Anfänge liegen in Hollywood: Die Außerirdischen in „Avatar“ oder das Fabelwesen Gollum in den „Herr der Ringe“-Kinofilmen sind zwar computeranimierte Fantasiekreaturen. Doch auf der Leinwand bewegen sie sich so geschmeidig und realistisch wie echte Lebewesen. Zu verdanken ist dies der Technologie „Motion Capturing“. Schauspieler oder Vorturner tragen Spezialanzüge, die an bestimmten Stellen des Bewegungsapparates wie Gelenken mit Markern versehen sind. Diese werden von Kameras und gegebenenfalls zusätzlichen Spezial-Sensoren erfasst. Das Resultat sind aufgezeichnete Kurven für die Bewegungen jedes einzelnen Punkts im Raum. Legen die Computergrafiker diese Kurven dann auf ihre digital konstruierten Modelle von Außerirdischen oder Fabelwesen, übernehmen diese die natürlichen Bewegungsabläufe. Neben tausenden Kinoproduktionen profitieren beispielsweise auch Computerspiele von dieser Technik.
Ford untersucht Ergonomie im Motorenwerk
Doch weit über die Unterhaltungsbranche hinaus gibt es für die digitale Erfassung und Auswertung von Bewegungen auch eine ganze Reihe weiterer Anwendungen. So nutzte der Autobauer Ford das Verfahren, um ein Jahr lang in seinem Motorenwerk im spanischen Valencia die Bewegungsabläufe von 70 Mitarbeitern aufzuzeichnen. Insgesamt wurden auf diese Weise 21 Arbeitsbereiche in dem Werk unter die Lupe genommen. Der Spezialanzug verfügte über 15 Sensoren, die vor allem die Bewegungen von Kopf, Nacken, Schultern und Gliedmaßen verfolgbar machten. Vier spezialisierte Motion-Capture-Kameras waren in den Arbeitsbereichen installiert, um die Bewegungsmuster der 15 Sensoren aufzuzeichnen.
Zweck des Vorhabens: Ergonomiespezialisten des Instituto Biomecánica de Valencia analysierten die erfassten Bewegungsdaten, um daraus Verbesserungen für die Arbeitsabläufe und die Körperhaltungen der Mitarbeiter abzuleiten. Schon kleine Veränderungen zeigen hier große Wirkung, wie Javier Gisbert, Production Area Manager im Ford-Motorenwerk Valencia bestätigt: „Für unsere Mitarbeiter können Veränderungen in ihren Arbeitsbereichen dafür sorgen, dass sie auch an einem langen Tag komfortabel arbeiten können.“ Ford denke bereits darüber nach, das Projekt auch auf andere europäische Standorte auszuweiten.

Die Mitarbeiter in Valencia tragen einen Anzug, der mit Bewegungssensoren ausgestattet ist. Foto: Ford
Ein Videospiel-System ermöglicht ernsthafte Forschung
Mit diesem Ansatz ist Ford keineswegs allein. So führt etwa das Institut für Arbeitswissenschaft (IAW) an der RWTH Aachen eine Reihe ähnlich gelagerter Projekte durch. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und von dem Ingenieursverband VDI getragene Projekt „Sensorgestützte ergonomische Analyse von Belastungen“ untersucht Körperhaltungen und arbeitsbedingte Belastungen. Das Ziel: Gesundheitsschädigungen zu verhindern. Die Besonderheit bei diesem, in verschiedenen Unternehmen in und um Aachen durchgeführten Projekt: Zur Beobachtung dient ein Consumer-Kamera- und Motion-Tracking-System, nämlich die eigentlich für Computerspieler entwickelte Microsoft Kinect. Dank ihres Tiefensensors, so der für das Projekt verantwortliche Professor Christopher M. Schlick, ermöglicht die Computerspieler-Kamera eine automatisierte Erfassung von Körperhaltungen ganz ohne spezielle Anzüge und Marker-Punkte. Auch die Bewertung der Belastung und Körperhaltung findet automatisiert statt und stützt sich auf das etablierte Verfahren OWAS (Ovako Working Posture Analysing System), führt Professor Schlick weiter aus. Wenn für bestimmte Aspekte eine höhere Genauigkeit bei der Bewegungserkennung erforderlich sei, setze aber auch sein Institut auf ein markerbasiertes Motion-Capturing-System.
Mit Bewegungsdaten neue Produktionsstraßen konzipieren
Nicht nur bestehende Arbeitsplätze und -abläufe lassen sich aus den Erkenntnissen von Tracking-Systemen verbessern. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) verbindet Motion-Capturing mit virtuellen Mensch- und Arbeitsplatzmodellen sowie Echtzeit-Visualisierungen, um bereits vorhandene Erkenntnisse auch schon in die Konzeption beispielsweise neuer Produktionsstraßen oder ganzer Fabriken einfließen zu lassen. Günter Wenzel, Leiter des Teams Virtual Environments am Fraunhofer IAO erklärt die Anwendungsmöglichkeiten: „Virtuelle Menschenmodelle bieten sich an, um unterschiedliche Nutzerverhalten und Anwendungsfälle zu simulieren – von barrierefreien, altersgerechten Wohnungen über ergonomisch gestaltete Fahrzeug-Innenräume bis hin zur Bedienung von Maschinen und Anlagen.“ Dazu simulieren die Fraunhofer-Forscher die Bewegungen virtueller Menschen in virtuellen Modellen der zu untersuchenden Umgebungen, lange bevor diese real existieren. So lassen sich zum Beispiel Produkte und Arbeitsplatzsysteme für unterschiedliche, auch extreme Körpermaße und Proportionen testen, so Günter Wenzel.

Body Tracking soll Arbeitssituationen verbessern, zum Beispiel von Mitarbeitern in der Fertigung. Foto: Ford
Digitale Menschen-Modelle als Basis künftiger Arbeitsschutzvorschriften
Daten aus Body-Tracking-Systemen mit Hilfe von zunehmend spezialisierten Algorithmen und Simulationsmodellen auszuwerten, liegt klar im Trend. So wächst ihr Einfluss deutlich über die konkrete Umgebung eines bestimmten einzelnen Arbeitsplatzes hinaus. Unter dem Schlagwort „Digitale Ergonomie“ verfolgt etwa die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Greifswald das Ziel, „anthropometrische“ Datensätze zu erzeugen, die dann im Hinblick auf vielfältige Anwendungen und Entwicklungen analysiert werden können. Die Projektergebnisse sollen dann nicht nur für die Ausgestaltung einzelner Arbeitsplätze beziehungsweise Arbeitssysteme genutzt werden, sondern auch in die Definition von Normen und Arbeitsschutzvorschriften einfließen. Und nicht zuletzt, so betont Professor Thomas Kohlmann, Leiter des Institut für Community Medicine der Universität Greifswald, könnten Bewegungsdaten und virtuelle Menschen-Modelle dann wiederum in zukünftigen Forschungsvorhaben verwendet werden. Was als Special-Effects-Technologie fürs Kino begann, hätte dann Auswirkungen auf unzählige Aspekte des Arbeitsalltags und auch auf viele weitere Bereiche des täglichen Lebens.
Automatisiert, aber sicher!
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