Die Quantensprünge der Logistikgeschichte

Author: Matthias Gaul

30. Okt. 2018 Innovation / Industrie

Bereits die chinesische Mauer oder die Pyramiden von Gizeh waren systematisch organisierte Meisterleistungen. Diese Ursprünge der Logistik reichen bis mehr als tausend Jahre in die Vergangenheit. Seither erlebt die Branche eine Revolution nach der anderen.

Nudeln im Supermarkt, Benzin an der Tankstelle, Post im Briefkasten, Just-in-sequence-Lieferungen ans Produktionsband – die Reihe der Beispiele ließe sich beinahe unendlich fortsetzen. Logistik ist aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Zugespitzt lässt sich sagen: Alles ist Logistik. Allein in Europa betrug laut der Studie „Top 100 der Logistik“ der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services (SCS) in Nürnberg das Umsatzvolumen im Jahr 2016 rund 1,05 Billionen Euro. Das weltweite Volumen, so die Schätzung von Martin Schwemmer von Fraunhofer SCS, lag 2016 bei etwa 6,5 bis 7 Billionen Euro. Und wie kaum eine zweite Wirtschaftsbranche erlebt sie seit Jahrtausenden eine Revolution nach der anderen.
Seit Jahrtausenden? Aber sicher. Zwar werden die Innovationszyklen – wie auch in anderen Bereichen – immer kürzer, jedoch finden sie allesamt ihre Wurzeln in herausragenden logistischen Leistungen im Zusammenhang mit wegweisenden Ereignissen historischen Ausmaßes. Man denke nur an den Bau der Pyramiden von Gizeh oder der Chinesischen Mauer, die Feldzüge Julius Cäsars oder Napoleons, die Erfindung der Dampfmaschine, den Beginn der industriellen Massenproduktion, den Eisenbahn- und Automobilbau, die Computertechnologie, die Digitalisierung und vieles mehr. Und während heute intensiv an der Optimierung der Supply-Chain-Management-Prozesse gearbeitet wird, hat Alexander der Große schon im vierten Jahrhundert vor Christus nachhaltig demonstriert, wie durch effiziente Planung die Warenversorgung sowie der Nachschub an Männern fürs Heer in einem Riesenreich zu bewerkstelligen sind.
Jahrhundertelanger Ausbau der Infrastruktur
Wenn heutzutage Güter global befördert werden, geschieht das überwiegend auf der Straße. Was den sogenannten Modal Split der Verkehrsträger im EU-28-Binnenverkehr anbelangt, machte 2016 die Straße nach Angaben der Europäischen Kommission 76,4 Prozent aus, die Schiene 17,4 Prozent und die Wasserstraße 6,2 Prozent. Diese Verteilung ist seit Jahren mehr oder weniger unverändert. Der jüngste World Transport Report der Prognos AG prognostiziert für 2040 in den führenden EU-Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, Belgien, Polen und Schweden, einen Marktanteil des Straßengüterverkehrs von 75 Prozent, in den USA von 55 Prozent und in China von knapp 53 Prozent. Das wiederum erfordert eine entsprechende Infrastruktur. Und auch hier zeigt sich, dass unsere Vorfahren, gemessen an den damals verfügbaren Gerätschaften, Höchstleistungen vollbracht haben. Über Tausende von Kilometern haben schon die Römer ein umfassendes Straßen- und Wegenetz quer durch Europa ausgebreitet. Auf die Römer gehen außerdem zahlreiche Kanalbauten zurück, die teilweise noch heute ein Bestandteil der maritim-logistischen Infrastruktur Europas sind.
Ebenso ein Paradebeispiel in Sachen Infra­struktur ist die antike Seidenstraße von China bis zum Mittelmeer, auf der schon ab dem 2. Jahrhundert vor Christus über ein Netz von Karawanenwegen mit einer Länge von 6.400 Kilometern ein reger Warenaustausch stattfand. Wenn nun im Rahmen des schätzungsweise 900 Milliarden US-Dollar teuren Megaprojekts „One Belt, One Road“ bis zum Jahr 2049 die Seidenstraße auf geradezu gigantische Weise wiederbelebt werden soll, nimmt die legendäre Verbindung nochmals ganz andere Ausmaße an. In die neue Seidenstraße sollen dann mehr als 65 Länder involviert sein – auf dem Land- wie auf dem Seeweg. Die Initiative dürfte zweifelsohne dazu beitragen, die Märkte entlang dieser strategischen Handelsrouten weiterzuentwickeln und die Industrialisierung in zahlreichen Staaten auf eine neue Stufe zu heben.
Digitalisierung transformiert die Logistik
Ob es für manche Länder ähnliche Meilensteine bedeuten wird wie die Industrialisierung in Europa und den USA, wird sich zeigen. Damals, im ausgehenden 18. Jahrhundert, sorgte vor allem die Erfindung der Dampfmaschine für einen Quantensprung in der Logistik: Insbesondere durch die Entwicklung des Eisenbahnwesens und des Automobilbaus nahm sie im wahrsten Sinne des Wortes so richtig Fahrt auf. Mit dem Lkw war erstmals der direkte Transport von Gütern in größeren Mengen vom Hersteller bis zum Endkunden möglich. Volumen und Güterströme wuchsen so in den folgenden Jahrzehnten massiv an. Zum Motor für die zunehmende Globalisierung wurde vor allem der vom US-amerikanischen Reeder Malcom McLean 1956 erfundene 20-Fuß-Container. Die bis dato als Stückgut transportierten Waren konnten in den stählernen Kisten – exakt 6,06 Meter lang, 2,44 Meter breit und 2,59 Meter hoch – deutlich effizienter verladen werden. Die Produktivität in der Logistikkette erhöhte sich dadurch nochmals enorm. Die Folge: Die beteiligten Unternehmen mussten sich verstärkt Gedanken um Materialwirtschaft und Lagerhaltung machen. Bis heute hat übrigens auch der Container so manchen technologischen Wandel durchlaufen. Angesichts der hohen Kosten des Leercontainertransports, die weltweit mit jährlich 25 Milliarden Euro zu Buche schlagen, entwickelte zum Beispiel das niederländische Start-up-Unternehmen Holland Container Innovations den faltbaren Container. Die Platzersparnis beträgt dabei gut 75 Prozent, sodass die transportierten Leercontainer an Bord eines Frachters, auf der Schiene oder auf einem Lkw-Auflieger deutlich weniger Platz einnehmen, womit ein höheres Volumen an Leercon­tainern oder Fracht transportiert werden kann.
Wenn von Quantensprüngen in der Logistik die Rede ist, darf ein Thema nicht vergessen werden: die IT-Revolution. Die Digitalisierung hat mittlerweile sämtliche Bereiche erfasst, nahezu alles ist miteinander vernetzt. Von den eingesetzten Fahrzeugen über Maschinen bis hin zum einzelnen Transportgut – der Datentransfer ist aus der Logistik 4.0 nicht mehr wegzudenken. Für Martin Schwemmer von der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services liegt ein Zukunftstrend ganz klar auf der Hand: „In der Logistik als ‚Gateway zum Kunden‘ werden insbesondere Daten als wesentlicher Wirtschaftsfaktor im Vergleich zum physischen Produkt und zum reinen Service noch mehr an Wert gewinnen.“ Und zwar einerseits durch die Erwartungen der Verlader hinsichtlich besserer Vernetzung, Kommunikation und von mehr Transparenz für agilere Prozesse, andererseits durch die Branche selbst, die geradezu verpflichtet ist, vom digitalen Wandel zu profitieren. Schließlich haben nicht nur Verlader hohe Erwartungen an reibungslose Prozesse. Auch der Konsument will auf die Verfügbarkeit von Gütern nicht verzichten – selbst wenn es um so etwas Simples geht wie Nudeln im Supermarktregal.
Übersicht über die führenden Logistiker
Laut der Studie „Top 100 der Logistik“ der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services setzte die Logistikwirtschaft 2016 in Europa insgesamt ein Volumen von etwa 1,05 Billionen Euro um. Davon werden laut der Arbeitsgruppe rund 50 Prozent aller Leistungen nach wie vor durch Logistikdienstleister erbracht – also durch Industrie- und Handelsunternehmen an Spediteure fremdvergeben. Die restlichen 50 Prozent sind den Lager- und Werksverkehren der verladenden Industrie geschuldet. Das weltweite Umsatzvolumen in der Logistik schätzt die Arbeitsgruppe für das Jahr 2016 auf etwa 6,5 bis 7 Billionen Euro.
Die Megatrends in der Logistik hat Fraunhofer SCS in zwei Kategorien eingeteilt: von außen beeinflusst und immanent. Zur ersten Kategorie zählt an erster Stelle die Globalisierung, gefolgt vom demografischen Wandel und von der Entstehung neuer Lebensstile, die sich im Einkaufsverhalten und in den Geschäftsbeziehungen widerspiegeln. Wichtige Innentrends der Logistik sind der technologische Wandel, das Auftreten neuer logistischer Akteure sowie eine fortschreitende Professionalisierung.