Mit Sicherheit mehr Lebensfreude

Sieben Jahre in Folge ohne Verkehrstote: Mit simplen, aber wirkungsvollen Maßnahmen gelingt der Stadt Torrejón de Ardoz eine ausgezeichnete Bilanz bei der Verkehrssicherheit. Dafür erhielt sie den DEKRA Vision Zero Award.

160 Kameras an verkehrsträchtigen Straßenkreuzungen und wichtigen Plätzen sind Bestandteil des Sicherheitskonzepts der Stadt. Foto: Cesar Dezfuli

160 Kameras an verkehrsträchtigen Straßenkreuzungen und wichtigen Plätzen sind Bestandteil des Sicherheitskonzepts der Stadt. Foto: Cesar Dezfuli

Ein wilder Fußballkick mitten auf der Plaza Mayor von Torrejón de Ardoz – es ist Donnerstagabend kurz vor Mitternacht. Die Kinder der Stadt treten einen abgewetzten Ball, die Senioren sitzen auf Bänken und schauen zu, Eltern und Freunde entspannen sich in den Bars rund um den Platz, über den sich der hohe Kirchturm der Parroquia De San Juan Evangelista erhebt. Flankiert von weitaus weniger imposanten Häusern aus den letzten Jahrzehnten, die den großen auto­freien Platz begrenzen. In Arkadengängen finden sich einige schmucklose Geschäfte mit Waren des täglichen Bedarfs und Kleiderläden, in denen eine Bluse selten mehr als fünf Euro kostet. Doch an der Plaza Mayor schlägt das Herz der 132.000 Einwohner zählenden Stadt im Großraum Madrid. Und abends pocht es am lautesten: Wenn die brütende Hitze dem Abend weicht, dann erwacht die Lebensfreude der Stadt, die vor einigen Jahren noch unter den Madrilenen als „Torrebronx“ verrufen war. Eine Schlafstadt, errichtet rund um die Airbase der US-Truppen aus den 1950er-Jahren, zu schnell gewachsen in den 70er- und 80er-Jahren. Und mit dem raschen Wachstum zogen Gewalt und ­Kriminalität in die Stadt ein.

Ein ganzheitliches Konzept

Seit zehn Jahren kämpft die Stadtverwaltung aktiv dagegen an, damit ihre Bürger sich sicher fühlen dürfen und Torrejón nicht länger nur Wohnort, sondern Lebensraum ist. Fast symbolisch steht dafür eine Säule auf dem Platz: Policia Local prangt in Großbuchstaben darauf – weithin sichtbar. Auch der rote Knopf. Einmal drücken, schon steht die Verbindung in die Zentrale der lokalen Polizei. 100 Meter entfernt von der Notrufsäule, am anderen Ende der Plaza Mayor, residiert die Stadtverwaltung. 2007 gewann der konservative Politiker Pedro Rollán die Wahl zum Bürgermeister – und seitdem wird Sicherheit in Torrejón großgeschrieben.

2015 folgte Ignacio Vázquez Casavilla im Amt. Der schneidige 41-Jährige treibt die Veränderung der Stadt voran, die sein Vorgänger in die Wege geleitet hat. Im Vorzimmer zu seinem Büro herrscht an einem heißen Freitagmorgen im Juli hektische Betriebsamkeit. Der Bürgermeister bleibt gelassen. In Jeans, den obersten Knopf des blauen Hemds geöffnet, erzählt er von seiner Stadt, in der er aufgewachsen ist, für die er steht. An seiner Seite die dritte Bürgermeisterin Carla Picazo Navas und Stadträtin Dolores Navarro Ruiz. Sie spricht für alle drei, wenn sie sagt: „Uns hat der Vision Zero Award überrascht. Sieben Jahre in Folge ohne Verkehrstote, darauf sind wir stolz, aber wir wussten nicht, dass wir damit etwas ganz Besonderes erreicht haben.“
Stolz sind sie auch auf die Entwicklung, die ihre Stadt im vergangenen Jahrzehnt hingelegt hat. Vázquez Casavilla ordnet das Verkehrskonzept ein in das Großprogramm Sicherheit: „Torrejón führte die Kriminalitätsstatistik an – heute sind wir die sicherste Stadt“, sagt er. „Wir haben doppelt so viele Polizisten im Einsatz wie früher, Kameras überwachen die Hauptverkehrsadern der Stadt, und im Zuge dieser Sicherheitsmaßnahmen haben wir auch die Verkehrssicherheit in Angriff genommen.“

Vielfältige Schutzmaßnahmen: Umzäunung der Gehwege sowie deutlich markierte Fußgängerüberwege und Fahrradwege. Foto: Cesar Dezfuli

Die Schutzmaßnahmen sind vielfältig: Umzäunung der Gehwege sowie deutlich markierte Fußgängerüberwege und Fahrradwege. Foto: Cesar Dezfuli

So, wie die Plaza Mayor das Herz der Stadt schlagen lässt, ist es die Sicherheitszentrale der Polizei, die das System am Laufen hält. Wenige Minuten Fußweg führen vom Rathaus dorthin. Auf einer großen Videowand schalten die Polizisten wahlweise auf Kameras um, die den fließenden Verkehr, aber auch Plätze zeigen oder die rund 40 Notrufsäulen. Drückt ein Mensch den roten Knopf, zeigt die Videowand in Echtzeit das Bild der Person, die ihre Meldung macht – meistens geht es um Taschendiebstähle oder auch mal Schlägereien.

Von hier aus wird auch der Verkehr überwacht. 160 Kameras sind im Einsatz. Servicechef Rafael Gutierrez Sanchez lässt an der Videowand Bilder von den neuen Verkehrskreiseln aufzeigen, die nun flach sind, ohne Erhöhung in der Mitte, Bepflanzungen oder Springbrunnen. Das ist nicht nur kostengünstiger, sondern auch sicherer, erklärt er: „Wer zu schnell in den Kreisel einfährt, donnert nicht mehr gegen ein Hindernis in der Mitte“, sagt er. Die Polizei hat viele sogenannte Blackpoints in der Stadt ausgemacht, die besonders unfallträchtig sind. Sie kamen ganz oben auf die Prioritätenliste der Sicherheitsmaßnahmen. An erster Stelle nennt auch Bürgermeister Vázquez Casavilla die Fußgängerüberwege. Sie wurden mit Fahrbahnerhöhungen gesichert. Hunderte seien davon in den vergangenen Jahren realisiert worden. Die Bürger hätten in den Bürgermeistersprechstunden immer wieder danach verlangt. Vázquez Casavilla: „Der Fußgänger ist froh über die Schwelle – und als Autofahrer flucht er darüber. Aber Sicherheit geht vor.“

Bodenschwellen zwingen zum langsamen Heranfahren an den Zebrastreifen. Foto: Cesar DezfuliBeleuchtete Verkehrsschilder erhöhen die Aufmerksamkeit. Foto: Cesar DezfuliNeue, abgeflachte Verkehrskreisel gehören zu den Schutzmaßnahmen der Stadt. Foto: Cesar DezfuliUm im Notfall eine Meldung an die Polizei abgeben zu können, stehen in der Stadt rund 40 Notrufsäulen bereit. Foto: Cesar DezfuliStadträtin Dolores Navarro Ruiz hat Ende 2017 den DEKRA Vision Zero Award stellvertretend in Empfang genommen und ist stolz auf die Entwicklung der Stadt. Foto: Cesar Dezfuli

Im Dialog mit den Bürgern

So gerät die anschließende Verkehrs-Sightseeing-Fahrt im Streifenwagen durch die Stadt zu einer holprigen Angelegenheit – denn es gibt viele Fußgängerüberwege in Torrejón. Und immer mehr Kreisel, die zweite Stufe des Sicherheitskonzepts. Einer liegt vor dem Hallenbad Torrejóns. Warum die Stadt den Kreisel der Ampelschaltung vorzieht, zeigt sich hier: Autofahrer treten auf die Bremse, um vorsichtig einzufahren. Damit kein Fußgänger der Ideallinie quer über den Kreisverkehr folgen kann, sperren rundum Zäune die Bürgersteige von der Fahrbahn ab. Nur der Fußgängerüberweg lässt die Menschen die Straße kreuzen. Weiter geht die Fahrt im Streifenwagen in ein Gewerbegebiet. Kilometerlang zieht sich die Straße schnurgerade, eine ideale Rennstrecke, wären da nicht die Kreisel und Bodenschwellen. Und Stufe drei des kommunalen Programms für mehr Sicherheit: die neue Straßen- und Gehwegbeleuchtung, die einem ehemals unwirtlichen Viertel ein neues Gesicht verleiht, am Abend sogar ein strahlendes.

Aber alle baulichen Maßnahmen wären nur die Hälfte wert ohne die Menschen, die die Regeln einhalten und mitspielen. So bezieht die Stadtverwaltung ihre Bürger in Sprechstunden mit in die Planung ein. Und weil die Zukunft der Stadt in den Händen der Kinder liegt, beginnt die Verkehrserziehung schon früh in der Schule – seit nunmehr 30 Jahren. Jährlich durchlaufen 5.500 Kinder die Verkehrserziehungskurse in verschiedenen Alters­stufen. Gesellschaftlicher Höhepunkt des Jahres: die Preisverleihung für die schönsten Zeichnungen und Bilder, die im Rahmen der Kurse entstehen. Begleitet von tollen Erinnerungen, wie eine Siebenjährige erzählt: „Wir durften im Polizeiauto durch die Stadt fahren, das war toll.“ Besser kann Sicherheit wohl nicht gelehrt werden. Denn so macht Verkehrs­erziehung fast so viel Spaß wie der all­abendliche Fußballkick auf der Plaza Mayor.

Die umgesetzten Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt nehmen auch die Bürger positiv wahr:

Petronela und Tochter Victoria: "Die Stadt hat sich verändert, das ist gut, ich fühle mich sicher. Ich achte sehr darauf, dass meine Tochter sich im Straßenverkehr richtig verhält – sie hat das auch in der Schule gelernt." Foto: Cesar Dezfuli

Petronela und Tochter Victoria. Foto: Cesar Dezfuli

 

Petronela und Tochter Victoria: „Die Stadt hat sich verändert, das ist gut, ich fühle mich sicher. Ich achte sehr darauf, dass meine Tochter sich im Straßenverkehr richtig verhält – sie hat das auch in der Schule gelernt.“

 

 

 

Antonio und Anna: "Die Bürgersteige sind jetzt breiter, das ist gut. Und es gibt Schwellen an Fußgängerüberwegen und Beleuchtung, da passieren jetzt nicht mehr so viele Unfälle. Wir fühlen uns sicherer, auch durch die Polizeipräsenz." Foto: Cesar Dezfuli

Antonio und Anna. Foto: Cesar Dezfuli

 

Antonio und Anna: „Die Bürgersteige sind jetzt breiter, das ist gut. Und es gibt Schwellen an Fußgängerüberwegen und Beleuchtung, da passieren jetzt nicht mehr so viele Unfälle. Wir fühlen uns sicherer, auch durch die Polizeipräsenz.“

 

 

 

 

Drei Fragen an Yvonne Rauh, Deputy Chief Country Officer, DEKRA Spain

 

Yvonne Rauh, Deputy Chief Country Officer, DEKRA Spain. Foto: DEKRA

Yvonne Rauh, Deputy Chief Country Officer, DEKRA Spain. Foto: DEKRA

Wie wurde Torrejón ausgewählt?

Die Auswahl beruht rein auf Statistik, da lag Torrejón mit sieben Jahren in Folge ohne Verkehrstote an der Spitze der vergleichbaren Städte in Europa.

Wie schätzen Sie die Arbeit der Stadtregierung in Torrejón hinsichtlich der Verkehrssicherheit ein?

Torrejón legt seit einigen Jahren sehr viel Wert auf Umwelt- und Bürgerschutz. In diesem Zusammenhang erklärt sich, warum auch sehr viel für die Vermeidung von Verkehrsunglücken getan wird.

Wird denn die Arbeit in der Öffentlichkeit – über Torrejón hinaus – wahrgenommen?

Leider nicht so stark, wie es wünschenswert wäre. Denn die Maßnahmen der Stadt für mehr Verkehrssicherheit hätten
Nachahmung verdient.

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