Risikomanagement in Zeiten des Klimawandels

Author: Hannes Rügheimer

19. Jan. 2022 Nachhaltigkeit

Der Klimawandel bleibt nicht folgenlos. Individuen, Unternehmen und Staaten sind gefordert, präventiv zu handeln, aber auch auf unmittelbare Konsequenzen zu reagieren.

Die monatelangen Wald- und Buschbrände, die Ende 2019 in Australien wüteten, haben nicht nur 33 Menschen sowie über eine Milliarde Tiere getötet und rund 3.000 Häuser zerstört. Nach Angaben des Rückversicherers Munich Re haben sie auch Versicherungsschäden in Höhe von rund 2 Milliarden US-Dollar verursacht. Eine schwer erfassbare, aber sehr große Menge unversicherter Schäden kommt noch hinzu. Die bislang beispiellose Hitzewelle, die im Sommer 2021 die USA und Kanada mit Temperaturen bis zu fast 50 Grad Celsius heimsuchte, kostete weit über tausend Menschen ihr Leben – allein in der kanadischen Provinz British Columbia starben über 700 Personen im Zusammenhang mit den Rekordtemperaturen.
Zu den wirtschaftlichen Folgen für Privathaushalte und Unternehmen gibt es keine gesicherten Zahlen, doch auch sie dürften beträchtlich sein. Gemäß dem Europäischen Waldbrandinformationssystem vernichteten die Waldbrände in Griechenland Mitte 2021 mehr als 1.100 Quadratkilometer Wald und Kulturland. Schätzungen gehen von Schäden in Höhe von mindestens 700 Millionen Euro aus. Die griechische Regierung legte einen Nachtragshaushalt von 500 Millionen auf, um Schnellhilfen für die Geschädigten zu finanzieren. Und nach der Hochwasserkatastrophe, die im Juli 2021 mehrere Dörfer im Ahrtal in Deutschland verwüstete, klettern die Zahlen noch immer. Als gesichert gelten mindestens 135 Tote, Hunderte Verletzte, und noch immer werden Menschen vermisst. Zum wirtschaftlichen Gesamtschaden gibt es auch hier keine abschließende Zahl, doch die Größenordnung lässt sich leicht ausmalen: Der Kreis Ahrweiler vermeldete, dass allein die Schäden an seinen kommunalen Gebäuden rund 3,7 Milliarden Euro betragen.
Klimawandel begünstigt ­Extremwetterereignisse
Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache. Extremwetterereignisse, die in den letzten Jahren sowohl an Häufigkeit als auch an Intensität zugenommen haben, kosten Menschenleben und verursachen immer größere wirtschaftliche Schäden. Klimaforscher unterstreichen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Häufigkeit von Stürmen, Dürren, Bränden und Überflutungen auf dem gesamten Globus gibt. Sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Intensität der – per Definition ungewöhnlichen – Ereignisse ist signifikant gestiegen.
„Was jetzt passiert, ist das, wovor wir Wissenschaftler immer gewarnt haben“, beklagt Prof. Dr. Mojib Latif, Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am Helmholtz-Zen­trum für Ozeanforschung Kiel, diese Entwicklung. Er wirft sowohl der Politik als auch Bevölkerung und Unternehmen vor, die Warnungen der letzten 20, 30 Jahre nicht ernst genug genommen zu haben.
Zunehmende Intensität und Wahrscheinlichkeit
Die „World Weather Attribution“-­Initiative (WWA) ist ein Zusammenschluss inter­nationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und extremen Wetterereignissen untersuchen. In sogenannten Attributionsstudien haben sie nachgewiesen, dass zum Beispiel die australischen Wald- und Buschbrände durch den Klimawandel mitverursacht wurden. Auch wenn manche ihrer Berechnungen eine große Schwankungsbreite haben, liefern die Studien beeindruckende Zahlen. So kommt die WWA beispielsweise zu dem Ergebnis, dass der globale Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für die jüngsten Starkregenfälle in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg um einen Faktor zwischen 1,2 und 9 erhöht habe. Die Intensität extremer Niederschläge sei zwischen 3 und 19 Prozent gestiegen.
„Wir denken immer noch, der Klimawandel komme in der Zukunft. Erst langsam kommt in unser Bewusstsein, dass er schon da ist“, sagt Prof. Dr. Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen und Mitbegründerin von Scientists for Future. Der Unterschied zwischen dem Umgang mit dem Klimawandel und etwa der Coronapandemie habe nach ihrer Einschätzung mit den unterschiedlichen Zeithorizonten dieser Ereignisse zu tun: Bei Corona lagen oft nur wenige Wochen zwischen dem Beschluss von Maßnahmen und der Sichtbarkeit ihrer Auswirkungen. „Beim Klimawandel haben wir viel längere und oft auch zeitversetzte Effekte.“ Doch die passen nicht zur Ausrichtung der Politik auf kurzfristige Erfolge sowie zu der beim modernen Menschen verankerten Erwartung, vergleichsweise kurzfristige Wirkungen eigener Anstrengungen zu sehen.
Das entscheidende 1,5-Grad-Ziel
Allerdings ändert sich die Wahrnehmung derzeit deutlich. Dies gilt auch für das von praktisch allen Klimaforschern, dem Weltklimarat Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und vielen anderen Institutionen nachdrücklich eingeforderte 1,5-Grad-Ziel. Die bereits 2015 auf der Pariser Klimakonferenz von den Unterzeichnerstaaten festgeschriebene Verpflichtung verlangt, die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Die Zunahme bezieht sich dabei auf den Beginn der Industria­lisierung um das Jahr 1850. Wurde dieses Klimaziel von Politikern, Bevölkerungen und auch vielen Unternehmen bislang eher als theoretisch und langfristig verstanden, unterstreichen die jetzt schon konkret spürbaren Auswirkungen seine Brisanz: Derzeit steht das Plus bei etwas über einem Grad. Wenn schon dieser Wert zu den mittlerweile für jeden wahrnehmbaren Folgen führt, wird schnell deutlich, dass diese mit 1,5 oder gar 2 Grad plus noch einmal erheblich zunehmen werden. Wie die Welt mit den 2,7 bis 4,7 Grad plus aussehen würde, auf die sie ohne konsequentere Gegenmaßnahmen derzeit zusteuert, mag man sich da kaum ausmalen. Käme es zu dieser Entwicklung, bezeichnen Klimaforscher wie Professorin Göpel oder Professor Latif die möglichen Folgen unverblümt als Katastrophe.
Verheerende Klimaereignisse – Auswahl 2005–2021
„Die Welt muss aufwachen und sich der drohenden Gefahr bewusst werden, der wir als Spezies gegenüberstehen. Um eine Chance zu haben, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, haben wir noch acht Jahre Zeit, um die Treibhausgas­emissionen fast zu halbieren“, erklärt Inger Andersen, Exekutivdirektorin des UN-­Umweltprogramms Unep. Mit den derzeitigen nationalen Klimaschutzplänen lasse sich der Treibhausgasausstoß bis 2030 jedoch nur um 7,5 Prozent reduzieren. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei jedoch eine Verringerung um 55 Prozent erforderlich – die aktuellen Reduktionen müssten rund das Sieben­fache betragen. Selbst für das 2-Grad-Ziel wäre laut Andersen eine Reduktion um das Vierfache beziehungsweise 30 Prozent ­notwendig.
Bessere Vorbereitung auf bereits nicht mehr abwendbare Risiken
Doch noch auf einen anderen Punkt weisen die Expertinnen und Experten hin: Neben der Vermeidung künftig noch viel schlimmerer Konsequenzen steht schon heute die Adaption an die bereits eingetretenen, auf lange Zeit nicht mehr veränderbaren Folgen auf der Agenda. Das IPCC trägt dieser Tatsache mit seiner Organisationsform Rechnung: Seine Working Group I beschäftigt sich mit den klimatischen Veränderungsprozessen an sich und den möglichen künftigen klimatischen Szenarien. Die Working Group II konzentriert sich auf die Folgenforschung, während in der Working Group III die Maßnahmen zur Abschwächung der Erderwärmung und zur Verhinderung ihrer schlimmsten Effekte im Fokus stehen. Professor Maarten van Aalst lehrt und forscht an der Universität Twente, Niederlande. Zudem zeichnet er beim Internationalen Roten Kreuz für das Risikomanagement im Hinblick auf den Klimawandel verantwortlich und arbeitet im IPCC als koordinierender Leitautor in der Working Group II – ist also Experte für den Umgang mit den Folgen des Klimawandels. Im Gespräch mit DEKRA solutions betont er, dass die Folgen des Klimawandels sich je nach Standort auf der Welt deutlich unterscheiden. Dabei gibt es keine einfachen Antworten – auch wenn die Welt im Durchschnitt trockener wird, sind lokal extreme Niederschläge und da­raus resultierende Überschwemmungen zu erwarten. Globale Erwärmung kann dennoch zu kälteren Wintern mit Schnee­chaos führen. Hier Dauerregen, dort Wasserknappheit: Die mittlerweile weit entwickelten und hoch differenzierten Klimamodelle erklären diese vermeint­lichen Gegensätze ­nachvollziehbar.
Unternehmen müssen Risikolagen überprüfen
Bei einer Betrachtung der individuellen Klimarisiken von Unternehmen kommt es laut van Aalst zudem auf Branche, Geschäftsmodell, Lieferketten und viele weitere Aspekte an. Doch dass Firmen aller Größenordnungen die Folgen des Klimawandels im Allgemeinen und von in Zukunft möglichen Extremwetterereignissen im Besonderen in ihre Risikokalkula­tionen und die Absicherungsstrategien mit aufnehmen müssen, steht für ihn außer Frage. „Dabei müssen wir uns auf Ereignisse mit zwar geringer Häufigkeit, aber hoher Intensität vorbereiten. Ich fürchte, dass auch die reichen Länder auf der Welt dies noch nicht begriffen haben.“ Gleichzeitig gibt er einen Eindruck von der Komplexität dieser Fragestellungen. Oft stehen etwa verkehrsgünstige Standorte an der Küste im Widerspruch zu höherer Resilienz gegenüber Überschwemmungen oder Stürmen. Extreme Hitze stellt Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Mitarbeitenden auch außerhalb des Firmengebäudes zu schützen, während der Firmensitz gleichzeitig energieeffi­zient und hitzeresistent ausgelegt werden soll.
Krisenprävention durch bestmögliche Analyse
Doch wie können Unternehmen konkret vorgehen, um sich gegen die klimabedingten, komplexen Risiken zu wappnen? David Salmon, Head of Strategic Development and Technical Service Manager for Service Division Audits bei DEKRA, hat das Assessment mitentwickelt und ist überzeugt: „Risikomanagement ist eine Aufgabe, die auf Vorstandsebene beziehungsweise bei der Geschäftsführung verankert sein sollte. Hier muss sich ein Verständnis dafür entwickeln, welchem Spektrum an Risiken das Unternehmen gegenübersteht und wie eine angemessene Reaktion aussieht, wenn entsprechende Szenarien eintreten.“ Um ihre Kunden bei dieser Aufgabe konkret zu unterstützen, hat DEKRA Service Division Audit gezielte Werkzeuge zur Risikobewertung und -begrenzung entwickelt.
In jedem Fall gibt es sowohl für Individuen als auch Organisationen keine Alternative dazu, sich auf die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels vorzu­bereiten. Dabei ist die Reduktion von Treibhausgasemissionen die eine Seite der Gleichung, die Vorbereitung auf Extremwetterereignisse und deren Auswirkungen auf Geschäftsprozesse und Lieferketten die andere. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit seien für die Vorbereitung auf diese Zukunft kein guter Ratgeber, betont van Aalst. „Wir müssen uns auf Bedrohungen einrichten, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Wir müssen auf weitere böse Überraschungen gefasst sein.“
Das DEKRA BRIA
Um Unternehmen darin zu unterstützen, sich besser für unerwartete Schadensereignisse zu rüsten, hat DEKRA das branchenübergreifende Self-Assessment „Business ­Resilience Impact Assessment“, kurz BRIA, entwickelt. Das Werkzeug basiert auf einem Fragenkatalog, der als Schnell­einstieg in ein resilientes Risiko- und Kontinuitätsmanagement gedacht ist, und basiert auf einschlägigen Normen wie ISO 22301 (Business Continuity Management), ISO 31000 (Risk Management, Finance, Supply Chain), ISO 27001 (Informationssicherheit), ISO 37301 (Compliance Management) oder ISO 45001 (Arbeits- und Gesundheitsschutz). Weitere Details finden Sie hier​.
David Salmon, Head of Strategic Development and Technical Service Manager for Service Division Audit bei DEKRA, hat das Assessment mitentwickelt. Er betont: „Zukunftsfähigkeit entsteht durch Krisenprävention, nämlich sich mit den passenden Standards und Verfahren auf vorstellbare Risikolagen einzustellen. Qualität und Effizienz einer Business-Impact-Analyse sind wesentlich davon beeinflusst, wie vollständig und kritisch Unternehmen ihre Prozessrisiken erheben.“ Sie sei besonders wirksam, wenn auch das beinahe Undenkbare gedacht und erfolgskritische Ressourcen dann in Beziehung zu diesen Szenarien gesetzt würden.
Das Assessment startet mit einem Katalog aus 40 Expertenfragen, die dabei helfen, auf transparente und nachvollziehbare Weise die unterschiedlichen Reifegrade in den Betriebsprozessen festzustellen. Dieser Kriterienkatalog ist kostenfrei und nur bei DEKRA erhältlich. Im zweiten Schritt evaluieren DEKRA Experten die Antworten sowie die ermittelten Reifegrade. Daraufhin zeigen sie Optimierungspotenziale und Best Practices auf, die sich im Betrieb umsetzen lassen. Kosten für die Kunden entstehen nur auf dieser zweiten Stufe. Die Evaluierung findet remote statt, sodass Unternehmen ihre Widerstandsfähigkeit parallel über mehrere Standorte einschätzen können.