Big Data: Mehr Resilienz statt Optimierung

Author: Hannes Rügheimer

06. Juli 2022 Digitalisierung

Gerade die Corona-Pandemie hat vielen Unternehmen deutlich gemacht, wie empfindlich ihre Lieferkette ist. Lag der Fokus von Prozessoptimierungen in der Logistik noch vor zwei Jahren auf Just-in-time-Zustellung, Verkürzung von Umschlagzeiten oder höheren Durchsätzen bei Ladeprozessen, haben sich die Ziele ein Stück weit verschoben: Nun geht es um Resilienz, Stabilität und Sicherheitsreserven. Big Data-Analysen können helfen.

Die Analyse großer Datenmengen, gemeinhin als „Big Data“ bezeichnet, ist ein wichtiges Werkzeug für Optimierungen – auch und gerade in der Logistikbranche. In seiner „2021 Annual Third-Party Logistics Study“ vermeldete das amerikanische Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP), dass 81 Prozent der befragten Spediteure und 84 Prozent der „Third Party Logistics Provider“, also firmenexterne Logistikdienstleister, Datenanalysen höchste Priorität für die Weiterentwicklung ihrer Logistikketten einräumen.
Doch Erwartung und Realität klaffen noch deutlich auseinander. Laut der deutschen Bundesvereinigung Logistik (BVL) nutzt derzeit nur etwa ein Drittel der Logistikunternehmen Big Data Analytics. Und auch in diesen Fällen werde die Technologie eher zur Optimierung des Bestandsgeschäfts – etwa fürs Lagermanagement – als für die Entwicklung neuer Lösungen und Geschäftsmodelle eingesetzt.
Auch für diese Ausrichtung gibt es überzeugende Beispiele. So hat etwa der Verpackungsspezialist Tetra Pak gemeinsam mit DHL ein Lager in Singapur als digitalen Zwilling – als virtuelles Datenmodell – abgebildet. Mit seiner Hilfe erzielten Big Data-Analysen umfangreiche Prozessoptimierungen. Nun kann Tetra Pak Materialien innerhalb von 30 Minuten nach Ankunft im Lager verstauen und umgekehrt innerhalb von 95 Minuten versandfähig machen. Als günstiger Nebeneffekt reduziert das optimierte Lagermanagement auch das Bewegen schwerer Lasten – was neben Zeit auch Energie und Arbeitskraft spart.
Ein klassisches Betätigungsfeld für datengetriebene Optimierungen ist die Routenplanung. So hat der amerikanische Dienstleister UPS bereits 2013 seine Fahrzeuge mit Sensoren ausgerüstet, die neben dem aktuellen Standort auch Parameter wie Geschwindigkeit, Bremsen oder Rückwärtsfahren registrieren. Diese fließen in die Echtzeitoptimierung der Routen mit ein. Das dient nicht nur der Pünktlichkeit. Lässt sich auf diese Weise auch nur eine Meile Fahrtroute pro Tag einsparen, führt dies im gesamten Konzern zu einer Reduktion des Kraftstoffverbrauchs um rund 5,6 Millionen Liter pro Jahr.
Noelia Díaz Bernal, Head of Big Data bei DEKRA DIGITAL (siehe auch Interview), weist darauf hin, dass die Komplexität bei Transportprozessen aufgrund von instabilen Kraftstoffpreisen, Fahrermangel, wachsendem Verkehr und zunehmenden staatlichen Vorschriften massiv gestiegen ist. „Intelligente Datenanalysen können diesen Effekten entgegenwirken. Sie helfen, Prozesse wieder zu vereinfachen, damit den Ressourceneinsatz zu verringern und die Rentabilität zu verbessern.“
Der globale Machine Learning-Markt soll sich bis 2029 verzehnfachen
Die technologische Grundlage für solche intelligenten Datenanalysen ist maschinelles Lernen. Fortune Business Insights taxiert das jährliche Volumen des weltweiten Machine Learning-Markts auf 15,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 und prognostiziert ein Wachstum auf 21,2 Milliarden US-Dollar bereits für das laufende Jahr. Bis 2029 soll das Marktvolumen laut dieser Prognose auf 209,9 Milliarden wachsen.
Auch zur Qualitätssicherung lassen sich intelligent ausgewertete Daten nutzen. So hat etwa der österreichische Logistikkonzern Quehenberger in Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Startup Roambee eine umfangreiche Asset Monitoring-Lösung realisiert. IoT-Sensorik in den Transportfahrzeugen liefert Echtzeit­informationen zu Standort, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Druck, Lichteinfall, Lageänderungen und Bewegung des Frachtguts. Mit der so realisierten Cloud-Lösung bietet Quehenberger seinen Kunden Qualitätssicherung und proaktives Problemmanagement bei verderblichen Gütern an.
Allerdings haben die von Corona und anderen Gründen verursachten Störungen der globalen Lieferketten die Zielsetzungen vieler Optimierungen auch ein Stück weit verschoben. Statt Just-in-time-Prozessen und Effizienzsteigerungen stehen nun vor allem höhere Resilienz und der Ausbau von Sicherheitsreserven im Fokus. In diesem Zusammenhang darf das Pendel aber auch nicht zu stark in die andere Richtung umschwingen, betont Franz Staberhofer, Professor für Logistik-Management an der Fachhochschule Steyr in Österreich. Er warnt Unternehmen und ihre Logistikdienstleister vor dem „Eichhörnchen-Prinzip“ – also der Devise „So viel auf Lager legen wie nur möglich“.
„Das klappt fürs Eichhörnchen, weil es nur Nüsse einlagert, aber nicht für Betriebe, die Hunderte oder Tausende unterschiedliche Teile lagern.“ Staberhofer empfiehlt vielmehr einen vorausschauenden Umgang mit der Volatilität der Lieferungen und Einsatz von künstlicher Intelligenz, um von der Supply Chain bis zum Kundenverhalten Muster zu erkennen und damit gezielt in die Zukunft zu schauen. Dies biete die besten Voraussetzungen, Lagerhaltung und Transportlogistik auch in Zeiten globaler Lieferengpässe auszutarieren.
Von jeher war die Kunst bei „Big Data“, die Daten so zu aggregieren und auszuwerten, dass sich aus den Analysen wirklich aussagekräftige und nützliche Erkenntnisse ableiten lassen. „Nur dann ermöglichen die identifizierten Trends strategische Schlüsse bis hin zu neuen, datengesteuerten Geschäftsmodellen“, betont auch Big Data-Expertin Noelia Díaz Bernal. Die DEKRA Tochter DEKRA DIGITAL unterstütze ihre Kunden bei dieser Herausforderung. „Sind Daten intelligent auswertbar, ermöglichen sie unseren Kunden, Entscheidungen anhand einer profunden und aussagekräftigen Datenbasis zu fällen. Die Fähigkeit, strategische Schlüsse zu ziehen, hat dann einen großen Einfluss auf Rentabilität, Zukunftsfähigkeit und mögliche Wettbewerbsvorteile. Datengesteuerte Geschäftsmodelle sind daher einfach die Zukunft.“
Drei Fragen an Noelia Díaz Bernal, Head of Big Data bei DEKRA DIGITAL
Wenn man an DEKRA denkt, dürften Big Data und Machine Learning bei den meisten möglicherweise nicht an erster Stelle stehen. Welche Bedeutung haben diese Technologien für DEKRA – heute und vor allem in Zukunft?
Bernal: Mit der Gründung von DEKRA DIGITAL im Jahr 2018 – und damit dem Aufbau unseres Big Data Hubs – konnten wir unser digitales Dienstleistungsportfolio innerhalb der DEKRA Gruppe schnell ausbauen. Hier in Málaga haben wir 20 Jahre Erfahrung in der Bereitstellung kundenorientierter IT-Dienstleistungen und Softwarelösungen für mehr als 1.000 zufriedene Kunden. Unseren Kunden helfen wir dabei, zunächst zusammenhangslose Daten in den richtigen Kontext zu stellen und zu analysieren. Nur so werden sie zu smarten Daten.
Wie unterstützt DEKRA DIGITAL seine Kunden dabei, sich den technischen Anforderungen der Zukunft zu stellen?
Bernal: DEKRA DIGITAL positioniert sich bewusst in Zukunftssegmenten wie Big Data, Künstliche Intelligenz oder Cyber Security, weil wir überzeugt sind, dass der Markt für digitale Dienstleistungen in den nächsten Jahren rasant wachsen wird. Wir müssen unseren Kunden einen ganzheitlichen Ansatz bieten, der alle Aspekte und technologischen Herausforderungen dieser Themen berücksichtigt. In unseren Hubs bündeln wir die besten Tech-Experten. So sind wir in der Lage, auf alle Kundenbedürfnisse einzugehen und in einer Branche mit innovativem und hartem Wettbewerb zu bestehen und zu wachsen.
Was sollte vor allem die Logistikbranche berücksichtigen, um sich auf datengetriebene Geschäftsmodelle vorzubereiten?
Bernal: Eine datengesteuerte Lieferkette kann für die Optimierung von Routen, den Warentransport, die Lagerverwaltung, die Auslieferung verderblicher Waren oder die Verbesserung des Kundendienstes eingesetzt werden. In einer Branche, in der ein so starker Wettbewerb herrscht, sind Kosteneinsparungen und neue potenzielle Einnahmequellen entscheidend. Big Data ist eines der Werkzeuge, um diese Ziele zu erreichen.
Ein ausführliches Interview mit Noelia Díaz Bernal können Sie auf dem Blog von DEKRA DIGITAL hier lesen.