Zeitalter 4.0 – Supply Chain komplett vernetzt

Industrie 4.0, Produktion 4.0, Logistik 4.0 – die Nummer „4.0“ ist in den einzelnen Branchen en vogue. Sie steht für Digitalisierung und Vernetzung. Welche Chancen erwachsen daraus und wo liegen die Risiken?

Ziel von Data Mining ist es, im Sinne von Industrie 4.0 bereits vorhandene Maschinendaten effektiver auszuwerten, um Fehlerursachen (Root Causes) zu identifizieren und zu beseitigen. Foto: Bosch

Ziel von Data Mining ist es, im Sinne von Industrie 4.0 bereits vorhandene Maschinendaten effektiver auszuwerten, um Fehlerursachen (Root Causes) zu identifizieren und zu beseitigen. Foto: Bosch

Nach üblicher Zählweise ging Industrie 1.0 (oder: die erste industrielle Revolution) aus der Dampfmaschine und der daraus entstandenen Massenproduktion hervor. Industrie 2.0 war von Elektrifizierung und Fließband geprägt. Industrie 3.0 entstand mit der Einführung von Computern und beginnender Automatisierung. Industrie 4.0 schließlich ist durch Vernetzung charakterisiert. Maschinen, Lieferketten, Geschäftspartner und Kunden werden durch Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt – und mit ihnen Auftrags- und Produktionsprozesse, Wertschöpfung und Logistik. Erstmals etabliert hat den Begriff Industrie 4.0 wohl die 2006 von der damaligen Bundesregierung eingesetzte „Forschungsunion Wissenschaft – Wirtschaft“.

Digitalisierung und Vernetzung finden entlang der kompletten „Supply Chain“ statt, von der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten über Bestellwesen, Produktion und Lagerhaltung bis hin zu Lieferlogistik, Nutzung und Wartung. Neben Effizienzgewinnen und Prozessoptimierungen versprechen sie neuartige Produkte, Organisations- und Vertriebsformen – und somit neue Geschäftsmodelle.

Sieben Elemente beschreiben die Lieferkette. Foto: Fotolia - Trüffelpix

Sieben Elemente beschreiben die Lieferkette. Foto: Fotolia – Trüffelpix

Boomender Markt vor allem für Lösungsanbieter

Auf das Trendthema Industrie 4.0 fokussieren sich heute praktisch alle Anbieter im industriellen Maschinen- und Anlagenbau wie Bosch, MAN, Siemens, ThyssenKrupp, Voith und viele andere. Aber die IT- und Telekommunikationsindustrie will an diesem neuen und wachsenden Markt partizipieren. Stark engagieren sich etwa die Deutsche Telekom und ihre Tochter T-Systems, aber auch Amazon, Google, Hewlett-Packard, IBM, Microsoft, Salesforce, Samsung, SAP und Toshiba. Hinzu kommen hunderte hochspezialisierter mittelständischer Dienstleister. „Industrie 4.0 wird im produzierenden Gewerbe zum Standard und die IT-Anbieter sind ein wesentlicher Treiber“, sagt etwa Michael Kleinemeier, Präsidiumsmitglied beim Branchenverband Bitkom. Felix Müller, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart warnt allerdings, dass das Thema oft zu theoretisch dargestellt werde. Gefordert seien deshalb praxisnahe und direkt umsetzbare Lösungen.

Industrie 4.0: Von „Losgröße Eins“ bis zum menschengerechten Arbeitsplatz

Die Vernetzung von Bestellsystemen, Maschinen, Sensoren und anderen Komponenten in der industriellen Produktion gilt als Wegbereiter für die oft zitierte „Losgröße Eins“. Gemeint ist, dass ein Kunde schon bei der Bestellung Individualisierungen vornehmen kann. Dank digitaler Übertragung der Sonderwünsche aus dem Bestellsystem auf die Produktionsstraße fertigen „Smart Factories“ dann gezielt dieses eine Stück.

In der laufenden Produktion erhobene Sensordaten versprechen eine höhere Informationstransparenz, sodass Produktionsplaner und Geschäftsführung jederzeit einen aktuellen Überblick über Kapazitäten, Fehlerraten und andere Kenngrößen haben. Zudem kann die Maschinensensorik Engpässe bei zu verarbeitenden Teilen oder anstehenden Wartungsbedarf frühzeitig erkennen.

Augmented Reality: Per Tablet-PC prüft ein Mitarbeiter Gegenstände in den Kisten. Foto: Fotolia - Zapp2Photo

Augmented Reality: Per Tablet-PC prüft ein Mitarbeiter Gegenstände in den Kisten. Foto: Fotolia – Zapp2Photo

Je nach Industriezweig und Produktionsprozess umfasst die Digitalisierung auch die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine – etwa in Form von Assistenzsystemen, die den menschlichen Arbeiter unterstützen. Dies beginnt bei der Bereitstellung von Echtzeit-Informationen und reicht bis hin zu cyberphysischen Unterstützungslösungen. So setzen Unternehmen wie Audi schon heute Exoskelette ein – Roboter-Anzüge oder Stützvorrichtungen, die den Menschen bei körperlich anstrengender Arbeit unterstützen.

Damit einher gehen aber auch neue Anforderungen in der Arbeitssicherheit und Arbeitsorganisation: Arbeiten Industrieroboter und menschliche Mitarbeiter räumlich nah zusammen, muss beispielsweise mit Sensoren und Schnellabschaltungen sichergestellt werden, dass der Roboter keinen menschlichen Kollegen verletzt. Auch DEKRA, zu deren wesentlichen Aufgabenbereichen Arbeitssicherheit sowie Anlagen-, Maschinen- und Gerätesicherheit zählen, hat sich auf diese neuen Herausforderungen eingestellt.

Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) ermögliche es, Material und Werkzeuge flexibel durch die Produktion zu transportieren. Foto: IPADB Schenker hat in Schweden das automatisierte Kommissionier- und Retourensystem für Online-Bestellungen, CarryPick, eingeführt. n einem Bildschirm lassen sich die Bewegungen der Roboter zwischen den Regalen nachvollziehen. Foto: DB SchenkerBosch setzt auf die Digitalisierung. Die Geschäftseinheit Bosch Connected Industry startet weltweit mit 500 Mitarbeitern. Foto: BoschVernetzung und Digitalisierung machen die moderne Lieferkette aus. Foto: Fotolia - j-melSkizze zur Vernetzung über die Wertschöpfungskette Supply Chain. Foto: BoschEin von Ziel von Industrie 4.0 ist es, die Produktion intelligent zu vernetzen und dadurch Merhwert zu generieren. Foto: IPA

Logistik 4.0: Zeitgenau, zuverlässig und effizient

Ebenso stark wie den Produktionsbereich verändern Vernetzung und Digitalisierung die Logistik. „Betroffen sind die Kommunikation und Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern sowie Planung und Management des Warentransports und Güterverkehrs auf der Schiene oder der Straße“, erklärt Dr. Armin Günter, Manager Research & Innovation Strategie Transport und Logistik“ bei DB Schenker Die Verzahnung aller Lieferkettenpartner verspreche höhere Effizienz, Transparenz, Flexibilität und Prozessgeschwindigkeiten. Dabei sind Konzepte wie Just-in-time-Produktion – die zeitgenaue Anlieferung von Materialien oder Vorprodukten an die Produktionsstraße – gar nicht neu. Doch nun werden sie ergänzt durch Software-Assistenten und physische Assistenzsysteme wie Sensoren, Detektoren und Warenortung auf dem gesamten Transportweg. Und die Branche denkt schon darüber nach, wie sich künftige autonome Transportfahrzeuge und -systeme auf ihre Prozesse und Geschäftsmodelle auswirken könnten. Letzteres ist noch Zukunftsmusik – doch digitale Lieferscheine statt Papierdokumenten oder die elektronische Anbindung von Fahrern und Fahrzeugen zur Routenoptimierungen und Vermeidung von Leerfahrten sind längst Stand der Technik.

Herausforderung IT-Sicherheit

 Die Digitalisierung an allen Positionen der Produktions- und Lieferkette führt allerdings auch zu neuen Herausforderungen – etwa bei der IT-Sicherheit. Denn die vernetzten Systeme sind auch Ziel von Hackern, digitalen Saboteuren oder Erpressern. Je höher die involvierten Werte, desto attraktiver werden solche Angriffe für Cyberkriminelle. Damit entsteht ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld für IT-Anbieter und -Dienstleister. So präsentierte T-Systems vor kurzem eine Honeypot-Lösung für vernetzte Industrieanlagen: Das Sicherheitssystem lockt digitale Angriffe auf industrietypische Protokolle und Schnittstellen an. Erkennt es entsprechende Versuche, kann es frühzeitig Alarm schlagen und somit Unternehmen, IT-Dienstleistern und Netzwerk-Providern ermöglichen, binnen kürzester Zeit Gegenmaßnahmen zu treffen. Dieses Beispiel zeigt, dass die digitalisierte Supply Chain auch neue Risiken und Herausforderungen mit sich bringt, denen Unternehmen und Anbieter bei allen Vorteilen und Chancen gezielt begegnen müssen.

 

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