Akustische Kamera: Ein Lärmdetektiv im Einsatz

Author: Michael Vogel

13. Okt. 2021 Innovation

Arbeitsschutz, Bauakustik, Industrie: Wenn Lärm zum Problem wird und konventionelle Analyseverfahren versagen, helfen akustische Kameras weiter. Die Fälle sind so vielfältig wie das Leben.

Abschalten lässt sich das Ohr nicht. Man kann höchstens versuchen, unerwünschte Geräusche zu ignorieren. Ein Flüstern ist so leise wie leichtes Blätterrauschen im Wind. Der Einwurf in den Altglascontainer ist so laut wie ein Benzinrasenmäher – nur viel schneller vorbei. Und ob wir in Club oder Disco tanzen oder neben einer Motorsäge stehen, beides ist ähnlich laut und kann unser Ohr dauerhaft schädigen. Nur die Wahrnehmung ist eine andere: In einem Fall ist es Musik, im anderen Lärm. Was Lärm ist, ist also sehr subjektiv, doch dass Lärm krank machen kann, ist Stand der Wissenschaft. Körper und Psyche eines Menschen leiden, wenn er dauerhaft Lärm ausgesetzt ist.
Deshalb gelten in den verschiedenen Ländern gesetzliche Vorschriften, um die Bevölkerung vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. In Deutschland ist es die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), die den Schutz der Allgemeinheit vor Gewerbelärm regelt, sowie die Arbeitsschutzverordnung, die im Berufsleben greift. Zudem soll der „International Noise Awareness Day“ das Bewusstsein für das Thema schärfen. In Deutschland findet er seit 1998 als „Tag gegen Lärm“ statt.
Mit der akustischen Kamera auf der Suche nach der Schallquelle
Bei Ilja Richter ist jeder Tag ein „Tag gegen Lärm“. Er ist bei DEKRA Sachverständiger für Schallimmissionen und spürt mit einer akustischen Kamera Lärmursachen auf. „Mit den üblichen Lärmmessgeräten kann man nur die Summe der Schallquellen an einem bestimmten Ort erfassen, dann weiß man zwar, wie laut es ist, aber nicht unbedingt, welches die maßgeblichen Quellen sind“, erklärt Richter. „Die akustische Kamera dagegen macht die Quellen bildlich sichtbar.“ Der Lärm wird bei ihr mit einer Anordnung aus drei Platten mit jeweils 128 Mikrofonen erfasst und dem optischen Bild farbcodiert überlagert: Besonders laute Stellen sind rot, leisere blau. Das erinnert an eine Wärmebildkamera, die Kältebrücken an Hausfassaden aufspüren kann.
„Wir haben die Kamera seit zwei Jahren im Einsatz“, so Richter, der schon sehr vielfältige Messaufgaben hatte. Da war zum Beispiel dieses Hotel in Norddeutschland, ein Neubau. Das Personal konnte sich noch so anstrengen, auf den Online-Bewertungsportalen hagelte es Kritik. „Die Zimmer waren so hellhörig, als ob es keine Wände gäbe“, erinnert sich Richter. „Ob die Bewohner fernschauten oder durch die Betten tobten – die Zimmernachbarn bekamen mehr mit, als ihnen lieb war.“ Richters Messungen enthüllten gleich mehrere Schallbrücken, über die sich der Lärm in Nachbarräume ausbreitete.
Die Wände waren im Leichtbau ausgeführt und die TV-Geräte zweier Zimmer hingen immer Rücken an Rücken an derselben Wand. Auch die Steckdosen für die Anschlüsse waren auf gleicher Höhe angebracht. „Dadurch wurden tieffrequente Geräusche gut von einem ins andere Zimmer übertragen“, erklärt Richter. Doch es drangen ja nicht nur tiefe Töne zum Nachbarn durch. „Auch der Übergang der Wand an die Betondecke über eine Schattenfuge war falsch ausgeführt“, sagt der Sachverständige, „so konnten sich hohe Töne ausbreiten.“ Das Hotel hatte nach diesem Gutachten endlich die Mittel in der Hand, um Nachbesserungen zu erzwingen.
Gutachten, um Nachbesserungen durchzusetzen
Doch der Schlaf kann einem nicht nur im Hotel geraubt werden, sondern auch in der eigenen Immobilie. „Bei einem Zementwerk in Süddeutschland beklagte sich ein Anwohner, dessen Haus 300 Meter entfernt war, immer wieder über nächtlichen Lärm“, sagt Richter. Tagsüber erfüllte das Werk erwiesenermaßen die TA Lärm, nachts nicht immer. „Nun besteht so ein Zementwerk aus unzähligen Anlagen, die teils in Gebäuden stehen, teils im Freien. Zudem gibt es Schornsteine, Türme – viele potenzielle Ursachen“, erklärt er. Ein Fall für den Richters akustische Kamera prädestiniert war.
Allerdings verdeckte die Vegetation den direkten Blick auf das Zementwerk, das 80 Meter tiefer als das Haus lag. Die Kamera benötigt jedoch für das Bild freie Sicht. Lösen ließ sich das Problem mit einer Hubbühne, die die Kamera 30 Meter in die Höhe hob, um das Zementwerk zu sehen. „Das akustische Bild zeigte, dass die Hauptquellen zwei Gebäude im Werk waren“, sagt Richter. „Allerdings war es aus dieser Entfernung nicht genauer zu ermitteln, so dass ich auch auf dem Werksgelände Aufnahmen machen musste.“ Dann aber war alles klar: Die verwendeten Steine der Gebäudefassaden isolierten nur gegen Wärme, nicht gegen Schall. Zudem entwich zwischen einem Rolltor und der Fassade sehr viel Lärm, weil der Übergang schlecht gedämmt war. „Um zu diesem Ergebnis mit einem konventionellen Schallmessgerät zu kommen, wären Messung und Auswertung viel langwieriger gewesen und hätten daher mindestens das Vierfache gekostet“, sagt Richter.
Ein anderer „Lärm-Fall“: Die Belegschaft einer niedersächsischen Blechverarbeitungsfirma war enormem Lärm ausgesetzt. Genauer: einem schrillen Pfeifen in einer riesigen Halle. Welche Maschine die Quelle war und was die Ursache, das herauszufinden, war Richters Aufgabe. „Als Quelle entpuppte sich eine Maschine zum Blechschneiden“, erzählt er. Eine gewaltige Maschine: Sie schnitt Blech, das von meterbreiten, zwei Meter dicken Rollen abgewickelt wurde. Für den Schnitt saugte sie das abgewickelte Blech mit Unterdruck auf einer rotierenden Trommel fest. „Mit detaillierten Kameraaufnahmen und der Konstruktionszeichnung des Maschinenherstellers konnte ich letztlich Teile der Achsaufhängung als Verursacher des Geräuschs ermitteln“, sagt Richter. „Luftverwirbelungen an einer bestimmten Stelle im Innern der Trommel verursachten das schrille Pfeifen.“ Die Firma schaltete den Hersteller der Maschine ein, um gemeinsam Abhilfe für das Problem zu schaffen. Und Ilja Richter konnte sich neuen Gutachten zuwenden.