Grüne Welle dank smarter Technik

Author: Markus Strehlitz

19. Okt. 2022 Innovation

Ampeln können nicht nur nerven, sondern den Verkehr behindern, wenn sie nicht optimal gesteuert sind. Wissenschaftler wollen daher mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Ampelschaltung stets an die aktuelle Verkehrssituation anpassen.

Verkehr intelligent zu steuern, ist eine der drängendsten Herausforderungen, wenn es um die Mobilität der Zukunft geht. Eine wichtige Rolle spielen dabei Ampeln. Wenn deren Schaltung auf die jeweils aktuellen Bedingungen optimal angepasst ist, lassen sich Wartezeiten reduzieren – was nicht nur zu einem besseren Verkehrsfluss beiträgt, sondern auch die Nervenkostüme der Autofahrer schont.
Ampelsteuerungen arbeiten derzeit jedoch nach starren Regeln. Und die dabei genutzten Sensoren, die im Boden eingelassen sind, bilden die Verkehrssituation nur grob ab. Flexible an die Verkehrslage angepasste Schaltungen sind damit kaum möglich.
Wissenschaftler arbeiten daher daran, dies zu ändern – und zwar mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Forscher der Aston Universität in den USA haben ein System entwickelt, das dafür Kameras und ein Simulationsprogramm nutzt. Dabei wird die KI-Software zunächst mit einem Verkehrssimulator trainiert. So lernt sie, wie sie mit verschiedenen Szenarien umgehen soll. Integriert in eine Ampelschaltung greift das lernfähige System dann auf die vor Ort installierten Kameras zu und analysiert die Bilder des aktuellen Verkehrsaufkommens. Die Wissenschaftler testeten die Technologie an einer realen Kreuzung. Das System war dabei in der Lage, sich an die realen Situationen anzupassen und die Ampel entsprechend zu steuern.
Für das Training der Software nutzen die Forscher Deep Reinforcement Learning, das quasi wie ein Belohnungssystem arbeitet. Jedes Mal, wenn ein Auto über die Kreuzung fährt, erhält die KI ein positives Feedback. Muss ein Fahrzeug warten oder entsteht sogar ein Stau, bekommt es eine negative Rückmeldung. Auf diese Weise sucht sich die KI-Software ihren eigenen Weg, um die Ampel optimal zu steuern. Dabei kann das Belohnungssystem auch so eingestellt werden, dass zum Beispiel Notfallfahrzeuge schneller durchgeleitet werden. Die Wissenschaftler trainierten das System auf diese Weise, damit es auch auf neue Situationen reagieren kann, mit denen es vorher noch nicht konfrontiert wurde, erklärt Dr. George Vogiatzis, Dozent für Informatik an der Universität Aston.
Ein optimaler Verkehrsfluss ist das Ziel
Reinforcement Learning nutzen auch Forscher des Fraunhofer Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB). Im Projekt KI4LSA haben die Wissenschaftler des Institutsteils für industrielle Automation INA in Lemgo ebenfalls ein System entwickelt, mit dem sich Ampeln intelligent und vorausschauend steuern lassen sollen. Die Lösung nutzt Kameras sowie Radarsensorik und wurde ähnlich trainiert wie das System aus Aston. „Wir haben von der Lemgoer Kreuzung, an der unsere Tests stattfinden, ein realitätsgetreues Simulationsmodell gebaut und die KI in diesem Modell unzählige Iterationen trainieren lassen“, berichtet Projektleiter Arthur Müller. „Zuvor haben wir das gemessene Verkehrsaufkommen zur Rushhour in das Simulationsmodell übertragen, so dass die KI mit realen Daten arbeiten kann.“ Die KI-Algorithmen laufen auf einem Edge-Computer im Schaltkasten an der Kreuzung.
Laut Fraunhofer IOSB könnte der Verkehrsfluss durch KI um 10 bis 15 Prozent verbessert werden. Zu diesem Ergebnis seien die Simulationsphasen an der überlasteten Lemgoer Kreuzung gekommen, die mit intelligenten Ampeln ausgerüstet wurde.
Doch noch ist die Technologie nicht im alltäglichen Einsatz. „Die größte Herausforderung bei der Überführung des Systems von einem Proof of Concept in ein Produkt besteht darin, unsere Lösung zu verallgemeinern, auf verschiedene Kreuzungstypen anzuwenden und in eine Verbundsteuerung von mehreren Kreuzungen zu integrieren“, sagt Müller. Eine weitere Herausforderung bestehe darin, den Trainingsprozess der KI zu stabilisieren.
Dr. Thomas Wagner, Fachbereichsleiter der Begutachtungsstellen für Fahreignung bei DEKRA, hält grundsätzlich den Einsatz von Kameras für bedenklich, wenn es darum geht, Ampeln intelligenter zu steuern. Der Datenschutz würde in Deutschland einem solchen Konzept im Weg stehen. „In den USA ist so etwas sicher eher möglich als bei uns“, so Wagner.
Laut Müller ist die Datenschutzthematik aber durchaus in das Projekt eingeflossen. So befänden sich die Kameras in einer Höhe von sieben Metern mit einem vertikalen Neigungswinkel von 40°. Die Auflösung liege bei lediglich 640 x 480 Pixeln. „Das ist für die Klassifizierung und Positionsbestimmung von Fahrzeugen ausreichend, lässt aber keinen Personenbezug – also die Identifikation von Gesichtern – zu“, erläutert Müller. Auch Nummernschilder sind so in der Regel nicht lesbar. „Des Weiteren wird das Material direkt vor Ort und ohne Eingriff vom Menschen verarbeitet, es finden weder Speicherung noch Übertragung statt.“
KI hilft auch Fußgängern
Datenschutz spielt auch in einem weiteren Projekt eine wichtige Rolle. Denn das Fraunhofer IOSB will auch Fußgängern mittels KI helfen. Im Projekt KI4PED arbeiten die Wissenschaftler gemeinsam mit Partnern an einem Ansatz zur bedarfsgerechten Steuerung von Fußgängerampeln. Ziel ist es, Wartezeiten zu verkürzen und die Sicherheit besonders von älteren und körperlich eingeschränkten Personen durch längere Überquerungszeiten zu erhöhen. „Aus Gründen des Datenschutzes verwenden wir anstelle von kamerabasierten Systemen Lidar-Sensoren, da sie Fußgänger als 3D-Punktwolken darstellen und diese somit nicht identifiziert werden können“, erklärt Projektleiter Dr. Dennis Sprute.
Auch in diesem Projekt erwarten sich die Verantwortlichen deutliche Verbesserungen. Ein bedarfs- und situationsgerechtes Steuerungskonzept soll die Wartezeit bei hohem Personenaufkommen um 30 Prozent und die Anzahl gefährlicher verkehrswidriger Überquerungen um etwa 25 Prozent reduzieren können.
Drei Fragen an Dr. Thomas Wagner, Verkehrspsychologe und Fachbereichsleiter der Begutachtungsstellen für Fahreignung bei DEKRA
Herr Wagner, machen rote Ampeln aggressiv?
Es gibt Studien, die sich im erweiterten Sinn mit der Aggressivität im Straßenverkehr beschäftigen. Und die kommen zu dem Ergebnis, dass es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist, das zu Wut und Verärgerung bei Autofahrern führt. Immer dann, wenn es eine Diskrepanz zwischen der Wunschgeschwindigkeit und der tatsächlich möglichen gibt, gerät ein Fahrer in Stress. Wenn also der Verkehrsfluss stark behindert ist. Dazu tragen rote Ampeln bei, aber auch viele andere Bedingungen. Der entscheidende Punkt ist dabei die Plausibilität. Wenn der Fahrer nicht versteht, warum er so lange an einer Ampel warten muss oder wieso eine Baustelle sein Weiterkommen behindert, verstärkt dies seinen Ärger.
Steigert dies auch die Unfallgefahr? Also kann man sagen: Je gestresster ein Autofahrer ist, desto wahrscheinlicher ist ein Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer?
Eine Gefahr beim Stress ist ja, dass ich unaufmerksam werde. Ich achte dann nicht mehr ausreichend auf das, was um mich herum passiert. Der andere Risikofaktor ist: Wenn ich emotional hochgefahren bin – das heißt auf Kampf oder Flucht ausgerichtet bin – dann reicht ein kleiner Funke, um mich zum Explodieren zu bringen. Eine kleine Provokation genügt, dass ich die Regeln außer Acht lasse und zum Beispiel bei Rot über die Ampel fahre.
Gibt es denn aus Ihrer Sicht grundsätzlich Optimierungsbedarf bei Ampelschaltungen?
Das ist sicher der Fall. Und es gibt auch schon wirklich gute Lösungen, wenn man sich mal im Ausland umschaut. Ich rede zum Beispiel von Systemen, die anzeigen, wie viele Sekunden eine Ampel noch auf Rot steht. Denn ein Problem für den Fahrer ist, dass er nicht weiß, wie lange er an einer Ampel halten muss. Eine entsprechende Information würde daher sehr viel Druck aus der Situation nehmen. Auch längere Gelbphasen oder ein Blinken der Ampel, bevor es wieder losgeht, würden zu Entschärfung beitragen.