Neue Wege für die City-Logistik

Author: Joachim Geiger

29. Sept. 2021

Vielen Innenstädten in Europa droht demnächst der Lieferkollaps. Weil der Internethandel auf immer höheren Touren dreht, gehen mancherorts die Lieferungen von Paketen und Lebensmitteln durch die Decke. Höchste Zeit also für effiziente Lösungen in der City-Logistik. Aber welche Ansätze könnten wirklich helfen?

Die Europäische Kommission schreibt sich eine nachhaltige und intelligente Mobilität auf die Fahnen. In einem Ende 2020 vorgelegten Strategiepapier definiert sie unter anderem das Etappenziel, dass bis zum Ende des Jahrzehnts 100 europäische Städte klimaneutral sein sollen. Für die City-Logistik wird dieser Umbruch handfeste Folgen haben. Auf den ersten Blick scheint die Herausforderung klar: Wer auf der letzten Meile unterwegs ist, sollte sich bald mit innovativen Lieferkonzepten ins Zeug legen.
Der Logistiker Dachser etwa geht bereits mit gutem Beispiel voran. Das Unternehmen will bis Ende 2022 seine „Emission-Free Delivery“ in die Innenstädte von elf europäischen Metropolregionen ausrollen – darunter in München, Straßburg, Paris, Prag, Kopenhagen, Madrid und Porto. Das Konzept arbeitet mit kleinen innenstadtnahen Umschlaglagern, zum Einsatz kommen batterieelektrische Transporter und Lkw sowie elektrisch unterstützte Lastenfahrräder. Auf den zweiten Blick zeigt sich allerdings, dass effiziente Hardware allein nur Teil einer Lösung sein kann. Selbst der nachhaltigste Lieferservice hätte ein Problem, wenn der Fahrer erst die Beine in die Hand nehmen muss, weil er für sein Fahrzeug in der Nähe des Empfängers keinen Parkplatz findet. Tatsächlich können derzeit die meisten Zustellkonzepte ein Kernproblem vieler Innenstädte nicht lösen: Es fehlt hinten und vorne an freien Flächen, um jeden freien Quadratmeter gibt es einen harten Wettbewerb.
Eine nachhaltige City-Logistik braucht jede Menge freier Flächen
Wenn Flächen für Logistiker Mangelware sind, braucht es neue Wege. Warum also die Lieferkette nicht teilweise aufs Wasser verlegen? In London hat DHL Express vor einem Jahr einen Zustellservice auf der Themse etabliert, bei dem die Sendungen vom Depot in Heathrow per Boot Richtung Innenstadt verschifft und am Pier für die letzte Meile auf Lastenräder gepackt werden. In Paris – einer der am dichtesten besiedelten Metropolen Europas – geht die Stadt mit einem ambitionierten Projekt sogar unter die Erde. Im 13. Bezirk soll bis 2025 zur Verteilung von Gütern und Belieferung der letzten Meile ein 7,5 Hektar großes unterirdisches Logistikzentrum inklusive Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und Cargobikes entstehen. In Stuttgart wiederum nehmen gerade Pläne für ein 85 Hektar großes Neubauquartier im Rosensteinviertel Gestalt an, das im Zuge des Bahnprojekts Stuttgart 21 frei wird. Die IHK Region Stuttgart hat dazu eine Studie vorgelegt, die Chancen und Perspektiven für eine stadtverträgliche City-Logistik im Rosensteinviertel auslotet. Hier könnten künftig modernste Logistikkonzepte zum Zuge kommen – darunter sensorbasierte Lieferzonen und unterirdische Transportsysteme, aber auch Multi-Use-Parkhäuser, autonome Paketzustellungen und Leise-Logistik-Umschlagzonen.
Planerische Freiheit in Neubauvierteln
„Uns geht es darum, die Räume und Flächen im Vorfeld so zu planen, dass die Versorgung der Bewohner und Gewerbetreibenden in bestmöglicher Form stattfinden kann“, erklärt Götz Bopp, der als Abteilungsreferent Urbaner Verkehr und City-Logistik der IHK die Studie betreut hat. Denkbar wäre demnach ein Supermarkt im Quartier, der seine Warenannahme ins Untergeschoss verlagert. Damit ließe sich der Freiraum zwischen den Häusern gänzlich vom Verkehr freihalten. Parkhäuser und Tiefgaragen könnten über Nacht auch als Stellplätze für Lastenräder dienen, die tagsüber ihre Runden drehen. Ein Quartierslogistikmanagement würde alle Bewegungen steuern, sodass Fahrzeuge, Wege, Stellflächen und Umschlagplätze optimal ausgenutzt werden.
Lösungen für ältere Bestandsquartiere sind Gold wert
Steht dagegen die City-Logistik in älteren Bestandsquartieren auf der Tagesordnung, ist meistens Schluss mit der planerischen Freiheit. Natürlich ringen auch hier Stadtplaner und Architekten um Lösungen – häufig mit dem Ziel, den größten Leidensdruck abzumildern. Gefragt sind smarte und kreative Lösungen, die nur einen niedrigen Umsetzungsaufwand erfordern. Ein Baustein ist zweifellos das Lastenrad, das eine Infrastruktur mit Mikro-Hubs erfordert. Vielleicht könnten sich aber auch normale Fußgänger auf ihrem Alltagsweg als Paketbote engagieren? Die Technische Universität Wien hat genau diesen Ansatz vor einigen Jahren im Projekt „GutZuFuß“ untersucht. Die Idee klingt charmant: Mittels einer App finden Versender und der potenzielle Kleinguttransporteur zusammen, auf dessen Route die gewünschte Abhol- und Zustellstelle liegen. Allerdings hat das Projekt am Ende gezeigt, dass eine kritische Masse an Teilnehmern nur schwer zu erreichen ist.
Eine Zustellung ohne Apps ist künftig kaum denkbar
Besser läuft es dagegen für das seit Mitte März 2020 aktive Startup „DropFriends“ in Köln. Dahinter steht die Idee einer App-basierten Zustellung in die Nachbarschaft. Teilnehmer können sich für den Service als Annahmestelle registrieren und erhalten pro Paketsendung eine Vergütung. Die Empfänger wählen bereits bei der Paketbestellung ihren individuellen Wunsch-DropPoint aus. Bewährt hat sich in Hamburg ein Modell mit anbieterneutralen Paketfachanlagen. Seit einem Jahr stehen die Anlagen in rund 20 Bahnhöfen und Haltestellen der Elbmetropole zur Verfügung. Die Kunden können bei der Online-Bestellung eine Paketanlage als Zustellmöglichkeit auswählen, die dann von verschiedenen Logistikern und lokalen Lieferdiensten bestückt wird. Die Pakete selbst werden stets für 120 Stunden hinterlegt.