Die Zukunft auf zwei Rädern

Motorräder und Roller gelten heute vielen als zu laut und zu gefährlich. In der Zukunft hingegen sorgen Zweiräder leise und unfallfrei für effiziente Mobilität.

1923 ist das Geburtsjahr des ersten BMW-Motorrads. Mit der VISION NEXT 100 zeigt BMW dem ­Betrachter die Dreißigerjahre des 21. Jahrhunderts. Foto: BMW

1923 ist das Geburtsjahr des ersten BMW-Motorrads. Mit der VISION NEXT 100 zeigt BMW dem ­Betrachter die Dreißigerjahre des 21. Jahrhunderts. Foto: BMW

Der Verkehrsinfarkt droht und in asiatischen Megacitys wie Shanghai, Bangkok oder Jakarta ist er schon da. Smog und Staus gehören zum Alltag. Ganz so schlimm geht es auf amerikanischen und europäischen Straßen noch nicht zu, dennoch: Laut dem US-Verkehrsdatenanbieter Inrix verbrachte jeder Autofahrer in Los Angeles letztes Jahr 104 Stunden im Stau, in Moskau waren es 91, in München 49 – mit steigender Tendenz. Dabei ließe sich das Problem per Zweirad zumindest lindern. Je nach Topografie, Straßenverhältnissen und individuell erforderlicher Reichweite sorgt mancherorts das Fahrrad und in erweiterter Form das Pedelec für Abhilfe. Auch Motorräder und Roller können einen Beitrag leisten, wie eine Studie der Beratungsfirma Transport & Mobility Leuven über die belgische Stadt Löwen bereits 2011 belegte: Würde dort nur jeder zehnte ­Autofahrer aufs Motorrad umsteigen, so rechneten die Forscher vor, ließe sich die im Stau verlorenen Zeit um 40 Prozent reduzieren.

Hightech für die Sicherheit

Dass Motorräder und Roller aktiv bei der Stauvermeidung helfen, haben auch einige Großstädte in Europa erkannt. In Mailand, Rom oder London beispielsweise stehen ihnen die Busspuren offen. In Paris bieten findige Unternehmer sogar Roller- oder Motorradtaxis an. Die Zweiräder sind wendig, flink und brauchen viel weniger Verkehrsfläche als etwa ein Pkw. Ein Auto braucht mehr als das Vierfache an Platz. Zu viel im immer dichteren Verkehr der Großstädte. „Wenn Sie 50 Leute in je ein Auto setzen, ist die Straße voll“, erläutert Professor Karl Viktor Schaller, Entwicklungsleiter bei BMW Motorrad in München. „Steigen alle in einen Bus, sinkt der Platzbedarf deutlich. Am besten sieht die Bilanz aus, wenn jeder auf einem Motorrad sitzt: wenig Platzbedarf, aber die individuelle Mobilität ist trotzdem gewährleistet.“

Für Schaller spielt das Zweirad in der Zukunft eine sehr wichtige Rolle: „Dass  wir nicht heute schon versuchen, alle Verkehrsteilnehmer aufs Motorrad zu setzen, liegt unter anderem an Sicherheitsaspekten.“ Die Sicherheit von motorisierten Zweirädern hat sich dank ABS und Traktionskontrolle in den letzten Jahren zwar stark verbessert, doch da ist noch Luft nach oben. BMW preschte in dieser Hinsicht bereits im Jahr 2000 mit dem C1 vor, einem überdachten Roller mit Sicherheitszelle, den man ohne Helm fahren durfte. Die Idee war gut, aber der damaligen Zeit zu weit voraus, das Gefährt floppte.

Karl Viktor Schaller. Foto: Sebastian LaMotte

Karl Viktor Schaller. Foto: Sebastian LaMotte

„Das ­Motorrad wird einen ­digitalen Sicher­heitskäfig bekommen“, Karl Viktor Schaller, Entwicklungsleiter bei BMW Motorrad

Letztes Jahr präsentierten die Münchner die rasante Studie „Vision Next 100“ mit flexiblem Fahrwerk, emissionsfreiem Motor, und Reifen, die während der Fahrt ihre Eigenschaften anpassen. Dieses Motorrad der Zukunft kann dank seiner Kreiselsensoren nicht umfallen, zudem ist es mit Fahrer und Umfeld intelligent vernetzt. Falls es trotz dieser geballten Hightech zu einem Fehler des Fahrers oder eines anderen Ver­kehrs­teil­neh­mers kommt, greift eine ganze Armada digitaler Assistenten ein, um einen Unfall zu verhindern. BMW-Entwicklungschef Schaller ist überzeugt, dass sich zumindest Teile dieses Projekts in nicht allzu ferner Zukunft umsetzen lassen.

„Das Motorrad wird einen digitalen Sicherheitskäfig bekommen, Unfälle und Stürze können so sicher vermieden werden“, bekräftigt er. Helm und Schutzkleidung sind dann obsolet. Ein Fahranzug aus intelligenten Materialien soll sich dem Klima anpassen und mal wärmen, mal kühlen. Den Helm ersetzt eine Brille, in die situationsrelevante Informationen eingeblendet werden.

Vito Cicchetti. Foto: Honda

Vito Cicchetti. Foto: Honda

„Die größte Bedeutung im E-Bereich werden die Urban ­Commuters haben“, Vito Cicchetti, General-Manager, Honda Europa

BMW ist mit diesem Konzept nicht allein. Honda, weltgrößter Motorrad- und Rollerhersteller, wagte Anfang des Jahres ebenfalls einen Blick in die Zukunft und präsentierte ein Motorrad, das sich selbst ausbalanciert und auf Wunsch seinem Fahrer folgt wie ein Hündchen. „Motorräder und Roller werden immer wichtiger“, versichert Vito Cicchetti, Motorrad-Chef von Honda Europa. „Wir investieren sehr viel in diesem Bereich.“ Auch andere Hersteller tragen dem vielfach prognostizierten Elektroboom Rechnung und haben entsprechende Fahrzeuge in Vorbereitung oder bereits auf dem Markt, selbst die Traditionsmarke Harley-Davidson will bis Ende 2017 ein E-Modell anbieten.

„Die größte Bedeutung im E-Bereich werden die Urban Commuters haben, also Roller, die als reine Stadtfahrzeuge dienen“, sagt Honda-Manager Cicchetti, „und zwar speziell in Südeuropa und Asien.“ Doch während in China nach Schätzungen bereits um die 200 Millionen E-Roller auf den Straßen sind, kommen sie in Europa nur zögerlich ins Rollen. Das liegt hauptsächlich am Preis. Viele chinesische E-Roller laufen noch mit billigeren Blei-Akkus und haben eine geringe Leistung, kosten dafür aber wenig. E-Roller und E-Motorräder für die Industrieländer dagegen setzen auf Lithium-Ionen-Akkus, viel Leistung und gute Ausstattung, und das schlägt sich im Preis nieder. „Moderne Elektromobilität ist nun mal nicht billig. Der Energiespeicher für ein Motorrad kostet als Benzintank lediglich 50 Euro – bei Batterien sind über 1.000 Euro fällig“, erklärt Entwicklungschef Schaller von BMW.

Livia Cevolini. Foto: Picasa

Livia Cevolini. Foto: Picasa

­„Benzin erfordert Transporte zur Tankstelle, Strom ist fast ­überall vorhanden“, Livia Ceveloni, Gründerin von Energica

Die Münchner rufen für ihren E-Roller C evolution rund 15.000 Euro auf, das E-Sportmotorrad Ego der italienischen Firma Energica kostet sogar über 30.000 Euro. Da erstaunt die Zurückhaltung potenzieller Kunden nicht, zumal es an E-Tankstellen fehlt, die Fahrzeuge wegen der Akkus sehr schwer sind und niemand weiß, wie es in ein paar Jahren um ihren Wiederverkaufswert stehen wird. Gerade kleine Hersteller wie Energica brauchen daher einen langen Atem. Livia Ceveloni, Chefin von Energica, ist aber überzeugt, dass sich E-Mobilität durchsetzen wird: „Im Gegensatz zu Benzin, das erst zur Tankstelle geschafft werden muss, ist Strom praktisch überall schon da.“ Nur logisch, dass man ihn dann auch nutzt.

Diverse Verkehrs- und Marktlagen

Grundsätzlich, so glaubt die Branche, wird das E-Konzept der Industrieländer aufgehen, die billigen E-Roller dürften verschwinden, selbst in China. Millionenstädte wie Peking und Shanghai haben sie jüngst mit einem Bann belegt, denn bei vielen handelt es sich – dank cleverer Tricks der Hersteller – formal um Fahrräder, für die kein Führerschein nötig ist. Das macht sie besonders beliebt, führt aber auch zu vielen tödlichen Unfällen. „Die Verkehrs- und Marktlage für Motorräder in Asien ist aber ohnehin völlig anders und mit Europa nicht zu vergleichen“, erklärt Honda-Manager ­Cicchetti. Und noch ein Beispiel aus Asien: Vietnams Hauptstadt Hanoi hat beschlossen, bis zum Jahr 2030 sämtliche Motorräder von ihren Straßen zu verbannen.

Bei rund acht Millionen Einwohnern bewegen sich dort täglich fünf Millionen motorisierte Zweiräder. Damit ist selbst für diese wendigen Flitzer die Grenze überschritten, denn in der Masse verursachen auch sie Staus und Smog. Als Alternative kündigte Hanoi an, den rudimentären öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Nach Protesten machte die Stadt inzwischen aber einen Rückzieher. Geplant sei nur, die Zufahrt zu bestimmten Bereichen der Innenstadt zu limitieren.

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