Smartphone im Auto: „Wirkung vergleichbar mit Suchtmittel“

Immer öfter nutzen Fahrer ihr Smartphone während sie Auto fahren. Damit gefährden sie sich und andere enorm. Wie groß das Risiko tatsächlich ist einen Unfall zu verursachen, weshalb immer mehr Menschen diese Gefahr ignorieren und wie man entgegenwirken kann, damit hat sich Dipl.-Psychologe Volkmar Bertke von der DEKRA Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF) auseinandergesetzt.

Eine Frau sitzt im Auto und benutzt ihr Smartphone. Foto: deineka

Eine Frau sitzt im Auto und benutzt ihr Smartphone. Foto: Fotolia deineka

Als selbstverständlicher Wegbegleiter ist das Smartphone immer und überall dabei. Es dient als Telefon, als Musikplayer, Bibliothek, Nachrichtenportal, Kamera oder Navigationssystem. Ständig in Kontakt und toujour auf dem Laufenden ist man vor allem mit WhatsApp-Nachrichten. „Ein Smartphone besitzt also ein hohes psychisches Bindungspotenzial, das vielschichtig ist. Die Menschen haben Angst, etwas zu verpassen und natürlich den Wunsch, ständig erreichbar zu sein“, beschreibt Dipl.-Psychologe Volkmar Bertke das Phänomen im Gespräch mit DEKRA solutions.

Schon deshalb ist der Begriff ‚Sucht‘ in diesem Zusammenhang für den Dipl.-Psychologen durchaus zutreffend: „Dopamin als entscheidender Neurotransmitter ist im Belohnungssystem aktiv und wird auch beim Klingeln des Handys oder Abschicken von Nachrichten ausgeschüttet. Im Grunde ist die Wirkung vergleichbar mit Betäubungsmitteln oder auch Nikotin.“. Potentiell gefährlich, sagt Bertke, wird das Smartphone vor allem dadurch, weil es längst alle Lebensbereiche durchsetzt hat. Alleine 2015 wurden fast zehn Prozent mehr Bußgelder verhängt, weil Auto- oder Radfahrer ihr Smartphone im Straßenverkehr nutzten. Eine Unfallursache aber eindeutig dem Smartphone zuzuordnen, ist für Volkmar Bertke dennoch schwierig: „Wer gibt schon freiwillig zu, dass er während der Fahrt getippt oder gelesen hat? Und um darüber einen fundierten Nachweis führen zu können, muss das Gerät nach einem Unfall sichergestellt und ausgelesen werden.“

Strafen bei Smartphone-Nutzung: 100 Euro plus ein Punkt in Flensburg

Erhebliche Zweifel hat Bertke daran, dass die soeben beschlossene Erhöhung des Bußgeldes von 60 auf 100 Euro für die Handynutzung bei Autofahrern (zusätzlich mindestens einen Punkt im Flensburger Zentralregister) zu deutlich weniger Verstößen führen wird. Dabei verweist er auf die durchaus drastischen Sanktionen in europäischen Nachbarländern. So sind in Großbritannien 200 Pfund für das Telefonieren am Steuer fällig. In Irland kann es sogar zu einer Haftstrafe von drei Monaten kommen. Voraussetzung ist allerdings, dass Autofahrer innerhalb eines Jahres zweimal auffallen.

Mehr Polizeikontrollen sind nötig

Bertke ist davon überzeugt, dass mehr Polizeikontrollen nötig sind, weiß aber auch: „Die Menschen fühlen sich im Auto unbeobachtet. Ein anonymer Lebensraum. Viele haben das Smartphone unterwegs längst griffbereit auf dem Schoß oder auf dem Beifahrersitz liegen. Das tatsächlich zu erkennen oder zu überwachen, ist so gut wie unmöglich.“

In verschiedenen Befragungen gaben Autofahrer an, dass sie durchaus wissen, dass die Ablenkung durch ein Smartphone gefährlich sei. In Verbindung mit dem geringen Sanktionsrisiko bilde sich im Laufe der Zeit aber eine Gewohnheit heraus, die zu einem falschen Sicherheitsgefühl führe, erklärt der Psychologe. Eine wichtige Rolle spielt laut Bertke auch, dass es einen unmittelbaren „Nutzen“ durch die Bedienung des Smartphones gibt. „Im Moment ist es mir wichtiger, zu wissen, was meine beste Freundin geschrieben hat, als dass ich mir des Risikos bewusst werde, was im schlimmsten Fall passieren könnte“, gibt es den Gedanken des Fahrers wider. Es geht also um das Abwägen von Risiken und den Glauben, diese Gefahren zu beherrschen und das Fahrzeug unter Kontrolle haben. Bei den DEKRA Fahrversuchen auf dem Verkehrsübungsplatz in Bielefeld zeigt sich allerdings, dass dies schon bei geringen Geschwindigkeiten unmöglich ist und die Probanden bei gleichzeitiger Smartphone-Nutzung selbst rote Ampeln übersehen.

Blick aufs Display: 30 Meter Blindflug bei Tempo 50

Da Unfälle, gemessen an den gefahrenen Kilometern, tatsächlich sehr seltene Ereignisse sind, werden diese Verkehrsteilnehmer in ihrer Auffassung sogar noch bestätigt. Doch wer bei Tempo 50 in der Stadt nur zwei Sekunden auf das Display schaut, legt gut 30 Meter im Blindflug zurück. Dies entspricht etwa sechs bis sieben Autolängen. Wenn hier ein Kind plötzlich auftaucht, eine Tür geöffnet wird oder ein Ball auf die Fahrbahn fällt, dann ist eine rechtzeitige Bremsung nicht mehr möglich. Und wer bei Tempo 130 auf der Autobahn zwei Sekunden den Blick von der Straße nimmt, der legt 70 Meter blind zurück. Immer wieder werde auch eingewendet, dass man ja langsamer fahren oder durch einen größeren Abstand diese Gefahren reduzieren könne. Bertke: „Wer will da noch von Sicherheit und vorausschauendem Fahren sprechen? Das ist eine völlige Illusion“.

Der Fahrer hantiert mit dem Smartphone, er registriert den Ball nicht. Foto: Norbert Böwing

Der Fahrer hantiert mit dem Smartphone, er registriert den Ball nicht. Foto: Norbert Böwing

Bertke verweist zudem auf eine Studie (Virginia Tech Transportation Institute, 2016) aus den USA: Über einen dreijährigen Zeitraum wurden dort rund 3.500 Teilnehmer hinsichtlich ihres Verhaltens als Fahrzeugführer untersucht. Dabei waren die Autos mit Kameras, Sensoren und Radar ausgerüstet. In dieser Zeit kam es zu 905 Unfällen (leichter und schwerer Sach- und Personenschaden). In 68,3 Prozent der Unfälle war Ablenkung die Ursache. Das Fazit des Bielefelder Dipl.-Psychologen: „Das Unfallrisiko liegt also um ein Vielfaches höher. Beim Tippen einer SMS oder einer WhatsApp erhöht es sich um das sechs bis zwölffache.“ Die Autoren der Untersuchung kommen sogar zu dem Schluss, dass in den USA inzwischen etwa vier Millionen der jährlich rund elf Millionen Unfälle auf Ablenkung zurückzuführen sind.

Natürlich bedeutet das Thema Ablenkung nicht nur das Hantieren mit dem Smartphone. Es zählen auch das Telefonieren, Bedienen des Navis, Schminken, Essen oder zum Beispiel ein intensives Gespräch mit den Mitfahrenden dazu. „Multitasking ist zwar ein Schlagwort, jedoch auch nur ein Mythos. Unser Gehirn hat nur die Fähigkeit, eine begrenzte Anzahl an Reizen zu verarbeiten, alles andere wird ausgeblendet. Objekte die nicht im Fokus stehen, werden nicht wahrgenommen“, erklärt Bertke. Dieses Phänomen wird in der Psychologie auch Unaufmerksamkeits-Blindheit („Inattentional Blindness“) genannt.

Maßnahmen zur Reduzierung von Ablenkung im Fahrzeug

Was kann nun unternommen werden, um die Ablenkung generell zu minimieren beziehungsweise das Unfallrisiko zu senken? Denn auch ein Telefonat mit Freisprecheinrichtung lenkt ab, ebenso die Bedienung von Radio oder Navigation. Die Maßnahmen, so der DEKRA Psychologe, müssten auf der technischen Seite sowie beim Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer ansetzen:

  • Deaktivieren des Einstellens von Zielen des Navis oder die Bedienung anderer Telekommunikationsmittel während der Fahrt (einige Autohersteller machen dies bereits)
  • Fahrfremde sicherheitskritische Funktionalitäten und Aktivitäten, wie z.B. der Internetaufruf durch das Bordmenü, sollten während der Fahrt deaktiviert sein.
  • Fahrassistenzsystem wie etwa ein Notbremsassistent oder Kollisionswarner sollten ein Standard in allen neuen Autos werden.

Durch Aufklärungsarbeit muss beim Fahrer ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Ablenkung nicht nur gefährlich ist, sondern dass die Nutzung eines Smartphones am Steuer tödliche Folgen haben kann. Zudem sollte das Signal gesetzt werden, dass das Benutzen des Smartphones am Steuer nicht akzeptabel ist. Bertke: „Früher wurde es gesellschaftlich hingenommen, dass sich jemand nach dem Konsum von zwei bis drei Bier oder Wein noch ins Auto setzte und fuhr, heute ist dies absolut tabu. Deshalb sollten wir als Gesellschaft zu der Erkenntnis kommen, dass die Ablenkung am Steuer durch die Benutzung von Smartphones mit erheblichen Risiken und einem hohen Gefährdungspotenzial verbunden ist und einfach nicht länger hingenommen werden darf.“

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