Wenn die Musik kommt

Dass Musik im Auto die Performance des Fahrers verbessert, klingt plausibel. Aber welche Musik ist die richtige? Diese Frage dürfte auch IT-Experten beschäftigen, die der Künstlichen Intelligenz im Auto auf die musikalischen Sprünge helfen wollen.

Musik macht gute Laune - als Fahrer darf man ein Smartphone zum Musikhören nicht in der Hand halten. Foto: Fotolia - Jakob Lund

Musik macht gute Laune – als Fahrer darf man ein Smartphone zum Musikhören nicht in der Hand halten. Foto: Fotolia – Jakob Lund

Musikhören im Auto ist für viele Autofahrer so selbstverständlich wie das Zähneputzen am Morgen. Musik macht Gänsehaut, regt an und entspannt. Musik fördert den Kreislauf, lässt das Herz schneller schlagen und das Gehirn besser arbeiten. Es liegt auf der Hand, dass Musik beim Autofahren auch die Performance der Fahrer am Lenkrad positiv beeinflusst. Dafür könnte der so genannte Mozart-Effekt sprechen. Dahinter steht die Theorie, dass klassische Musik das räumliche Vorstellungsvermögen der Hörer verbessert. Vielleicht gibt‘s ja analog dazu für Autofahrer den Helene-Fischer-Effekt, den Metallica- oder Ed Sheeran-Effekt? Also Zündung eingeschaltet und Lieblingssender gewählt? Wenn es so einfach wäre. Meistens ist erst Fummelei angesagt, bis im analogen UKW-Rundfunk die richtige Frequenz eingestellt ist. Besser dran sind Autofahrer, die das Digitalradio DAB+ an Bord haben, das nach den Vorstellungen des EU-Parlaments bald Pflichtausstattung in Neuwagen werden soll. Handfester Vorteil der digitalen Radiotechnik: Ein üppiges Senderangebot, jede Menge Spartenkanäle, eine automatische Sendersuche und eine ausgezeichnete Klangqualität.

Musikstreaming und Playlists aus dem Internet laufen dem Radio den Rang ab

Allerdings dürfte es noch einige Jahre dauern, bis das digitale Radio in der Fläche ankommt. Die glorreichen Zeiten, in denen das Radio das einzige Empfangsmedium im Auto war, sind bis dahin wohl vorbei. Automobilhersteller wie Daimler und Ford haben längst Kooperationen mit Musikstreamingdiensten geschmiedet, um ihr Entertainment-Portfolio auf den neuesten Stand zu bringen. Die Generation Smartphone hat ohnehin spezielle Hörgewohnheiten, in denen das Radio nur die zweite Geige spielt. Zwar sollte man als Fahrer ein Smartphone zum Musikhören nicht in der Hand halten, wie das Oberlandesgericht Hamm vor kurzem klargestellt hat. Dafür lässt sich das vielseitige Endgerät problemlos über USB, AUX-Kabel oder Bluetooth zur Nutzung der Lautsprecher mit dem Radio verbinden. Neben den Streamingdiensten liefern im Internet hunderte von Playlists genügend Futter für jeden musikalischen Geschmack.

Musik hat vielfältige Auswirkungen auf Stimmungen und Fahrstil

Also Lautsprecher kräftig aufdrehen und ab geht die Post? Im Interesse der Sicherheit wäre das keine gute Idee. Steht der Regler weit im oberen Bereich, kann das nämlich zu einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen führen, was die Reaktionszeit des Fahrers verlängert und damit das Unfallrisiko erhöht. Musikpsychologen der Technischen Universität Dortmund haben in den 90er Jahren im Fahrsimulator genau diese Wirkung auf Autofahrer festgestellt. Dabei hatte sich der Bremsweg der Probanden bei Tempo 100 zum Teil um mehr als 15 Meter verlängert. In der Praxis hätte das fatale Folgen.

Musik im Auto, soviel steht heute fest, kann den Fahrer aktivieren und sich damit positiv auf die Fahrleistung auswirken. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob das für jeden Musikstil gleichermaßen gilt? „Schlager, Pop, Rock, Jazz und Klassik können sich günstig auf den Fahrstil auswirken. Die Wirkungen hängen von der aktuellen Gefühlslage und dem emotionalen Bezug zur gehörten Musik ab“, weiß Thomas Wagner, Verkehrspsychologe bei DEKRA. Wie der Experte erklärt, kann sich Musik auch ungünstig auf die Fahrleistung auswirken. Der Knackpunkt ist die Aufmerksamkeit des Fahrers. Wenn die Gedanken beim Hören der Lieblingsmusik abschweifen, steht dem Fahrer weniger geistige Kapazität für die Informationsverarbeitung zur Verfügung. Beim Spurwechsel, Überholen oder in einer kniffligen Vorfahrtsituation kann ihm dann das Quäntchen Aufmerksamkeit fehlen, das ein risikoloser Fahrvorgang erfordern würde. Einen ähnlichen Effekt kann Heavy Metal oder komplizierter Jazz auf den Fahrer haben. Auch klassische Musik ist nicht in jedem Fall die beste Wahl für entspanntes Fahren. Gerade Stücke mit vielen Höhen, Tiefen, häufigen Wechseln von Lautstärke und Tempo können das menschliche Gehirn beim Autofahren stark beanspruchen.

René Turrekt hat den Kompakt-SUV Volvo XC40 mit einem Soundlack in den schwedischen Landesfarben gestaltet. Foto: Volvo Cars

René Turrekt hat den Kompakt-SUV Volvo XC40 mit einem Soundlack in den schwedischen Landesfarben gestaltet. Foto: Volvo Cars

Assistenzsysteme könnten künftig die Musikauswahl bestimmen

Folgt man der vor drei Jahren vorgestellten musikwissenschaftliche Analyse „Musik im Auto“ der Allianz Versicherung Österreich, eignet sich melodiöser Mainstream-Pop am besten als Musik beim Autofahren. Eine Rolle spielt demnach auch die Sprache der Liedtexte. Bei Songs in der Muttersprache achten viele Fahrer auf den Text, was mentale Ressourcen bindet. Bei einer fremden Sprache steht hingegen nicht der Text, sondern die Melodie im Mittelpunkt. Unterm Strich lautet die musikpsychologische Gretchenfrage bis heute, wie sich Wachheit und Aufmerksamkeit des Fahrers zugunsten der Fahrtüchtigkeit bestmöglich fördern lassen. Einer Antwort war der Nutzfahrzeughersteller Daimler bereits vor zehn Jahren auf der Spur. Damals haben die Schwaben das Konzept des „TopFit-Truck“ entwickelt, um die Aufmerksamkeit und Kondition von Lkw-Fahrern an ihrem Arbeitsplatz zu optimieren. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Musik. Also einfach mal einen fetzigen Rocksong aufgelegt, schon pulst das Adrenalin im Leib und klärt den Blick nach draußen? Eher das Gegenteil ist der Fall. Die dem TopFit-Projekt zugrunde liegenden Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass ein müder Fahrer durch eine gering aktivierende Musik gewissermaßen erst einmal aufgeweckt werden muss. Erst später lässt sich dann die aktivierende Wirkung weiter steigern.

Die Musik im autonomen Auto spielt in einer neuer Dimension

Gut möglich, dass die nächste Stufe des digitalisierten Autofahrens solche Erkenntnisse in die Entwicklung neuer Assistenzsysteme einbindet. Ein System zur Müdigkeitserkennung könnte dann zum Beispiel auch automatisch auf das Entertainmentprogramm des Fahrzeugs oder die vorhandenen Playlists zugreifen, um den Fahrer passgenau mit der richtigen Musik zu aktivieren. Wenn dann im hoch automatisierten oder autonomen Fahrzeug die Künstliche Intelligenz (KI) das Kommando am Steuer übernimmt, spielen  physiologische Einschränkungen des Fahrers keine Rolle mehr. Der KI ist es schließlich egal, ob Rock, Pop oder Klassik aus den Boxen dröhnt. Damit wäre auch der Weg für eine neue Dimension der Musik im Auto frei. Ebenso wichtig wie individuelle Playlists könnte in Zukunft ein 360-Grad-Soundsystem mit potenten Lautsprechern und einem Subwoofer im Kofferraum werden. Potenzial hätte Musik auch zur Selbstdarstellung des Fahrers. Jüngstes Beispiel dafür ist der Kompakt-SUV Volvo XC40, den der Osnabrücker Graffiti-Künstler René Turrek mit einem Soundlack in den schwedischen Landesfarben gestaltet hat. Die Speziallackierung reagiert auf der Basis von elektromagnetischen Impulsen auf Songs aus dem Autoradio und auf Soundquellen von außen. Sie lässt auf diese Weise das Auto im Rhythmus der Musik leuchten. Die Lichtshow selbst lässt sich durch eine App aktivieren und deaktivieren.

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