Automatisch ins nächste Level

Wenn Fahrzeughersteller und Zulieferer dürften, wie sie könnten, würden wohl schon heute autonome Lkw und Omnibusse über die Straßen rollen. Doch bis zu diesem Level führt der Weg nur über Automatisierungsstufen, die es vorher zu bewältigen gilt.

Trotzdem enormer Fortschritte in der Entwicklung fahren auf öffentlichen Straßen derzeit noch keine autonomen Fahrzeuge. Illustration: Mathis Rekowski/2 Agenten (2)

Trotz enormer Fortschritte in der Entwicklung fahren auf öffentlichen Straßen derzeit noch keine autonomen Fahrzeuge. Illustration: Mathis Rekowski

Der Wettbewerb um die Etablierung künstlicher Intelligenz in Fahrzeugen hat längst begonnen. Nur wer das Zusammenspiel aus Sensoren, Kameras und einer elektronischen Infrastruktur am besten beherrscht, kann Lkw, Omnibusse und Co. in der Zukunft autonom auf die Straßen schicken. Nutzfahrzeuge mit automatisierten Fahrfunktionen werden weltweit getestet. Die Shootingstars der Szene sind die Alphabet-Tochter Waymo und die Start-ups Starsky Robotics und Embark aus Kalifornien, die alle an Technologien zur Automatisierung von Nutzfahrzeugen arbeiten. In Schweden hat das Start-up ­Einride einen autonomen Lkw auf die Räder gestellt, der kein eigenes Fahrerhaus mehr besitzt. In Shanghai absolvierte das Unternehmen Suning Logistics mit seinem „Strolling Dragon“ genannten Schwerlast-Lkw erfolgreich hochautomatisierte Fahraufgaben im Gelände und auf der Autobahn.

Aber nicht nur Start-ups mischen die herkömmliche Nutzfahrzeugwelt auf. Auch Lkw-Hersteller und Zulieferer arbeiten seit Jahren intensiv an automatisierten Lösungen und werden im Rennen um den Massenmarkt ein gewichtiges Wort mitreden. In Schweden, Spanien und Singapur sind zum Beispiel autonome Trucks von Scania und Volvo auf Achse – nicht auf öffentlichen Straßen, aber im Bergbau und in Seehäfen. Daimler ist mit seiner Marke Freightliner seit mehr als drei Jahren rund um Las Vegas mit automatisierten Lkw unterwegs. In Peking testet der schwäbische Nutzfahrzeughersteller hochautomatisierte Lkw-Systeme in einem komplexen Verkehrsumfeld. Die Fortschritte sind enorm. Trotzdem fahren auf öffentlichen Straßen und unter Alltagsbedingungen derzeit noch keine autonomen Fahrzeuge. Sieht man genau hin, sitzt auch im am weitesten fortgeschrittenen Lkw immer noch ein Fahrer, der zur Not das Steuer vom Computer übernehmen soll.

Die 6 Levels der Automatisierung

Die Society for Automotive Engineers (SAE) hat ein Stufenmodell definiert, das die Automatisierungsgrade von Systemen klassifiziert.

Die Automatisierung erfolgt in 6 Levels. Grafik: SAE

Die Automatisierung erfolgt in 6 Levels. Grafik: SAE

Raum für Weiterentwicklung

Die Konkurrenz und die Herausforderungen sind groß, und die Evolution des autonomen Fahrens scheint beinahe den gleichen Regeln wie ein Computerspiel zu folgen: Ins höchste Level kommt nur, wer die Stufen davor bewältigt hat. Die Aufgaben werden allerdings von Level zu Level schwieriger. Ein Hindernis sind die Genehmigungen fürs Fahren auf öffentlichen Straßen. Hier gibt es nicht nur unter den Konkurrenten große Unterschiede, sondern auch, was die Gesetzgebung in einzelnen Ländern betrifft. Wer in Kalifornien fahren darf, muss sich für eine Freigabe in Peking und Berlin in die Warteschlange stellen. In Deutschland hat der Gesetzgeber immerhin mit der am 21. Juni 2017 in Kraft getretenen Änderung des Straßenverkehrsgesetzes die Basis für das Fahren mit Fahrzeugen der Automatisierungsstufen 3 und 4 – also hoch- und vollautomatisiert – geschaffen. Erst dadurch wurde in Sachen Gesetzgebung der Raum für die Weiterentwicklung geöffnet.

MAN hat zwei zu einem Platoon vernetzte Lkw im Testeinsatz auf der Autobahn A 9. Foto: MAN

MAN hat zwei zu einem Platoon vernetzte Lkw im Testeinsatz auf der Autobahn A 9. Foto: MAN

Aktuelle Lkw verfügen über Assistenzsysteme, die Kollisionen verhindern sowie eigenständig die Spur und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug halten können. Mit diesen Funktionen erreichen sie aber nur Level 2 des automatisierten Fahrens. Auf dieser Stufe kann der Fahrer Fahrfunktionen teilweise dem System übergeben, wenn er die Fahrt überwacht und jederzeit zur Übernahme des Steuers bereit ist. Eine Anwendung für diese Technologie ist schon in Sicht. Beim sogenannten Platooning fährt ein elektronisch gesteuerter Verbund teilautomatisierter Lkw in geringem Abstand hintereinander auf der Autobahn. Tritt der Fahrer im vordersten Lkw auf die Bremse, bremst mit nur minimalem Zeitversatz auch das mit ihm im Platoon vernetzte zweite Fahrzeug. Dass die Platoons funktionieren, zeigt gerade MAN mit zwei Fahrzeugen auf dem digitalen Testfeld Autobahn (DTA) auf der Bundesautobahn A 9 zwischen München und Nürnberg. Auch wenn die Anwendung sich langfristig wohl nicht zuallererst für deutsche Autobahnen mit ihrem dichten Verkehr und dem eng geknüpften Netz von Anschlussstellen eignen wird: Für den Hersteller geht es in diesem Feldversuch darum, wie automatisierte Lkw durch intelligenten Informationsaustausch schwierige Fahrsituationen wie Überholmanöver und das Einfädeln auf Autobahnen kooperativ managen.

Auch der ZF Innovation Truck des Automobilzulieferers aus Friedrichshafen wartet mit einem speziellen Talent zur Kommunikation auf: Der Technologieträger hat neben modernsten Assistenzsystemen eine Computerintelligenz an Bord, die sich mit Sensoren und Kameras auf einem Betriebshof vernetzen kann. Der Fahrer könnte den teilautomatisierten Lkw auf dem Gelände abstellen und danach das Fahrzeug verlassen. Alle weiteren Fahraufgaben wie das Anfahren, Rangieren und Andocken an der Rampe, die Aufnahme einer Wechselbrücke und die Rückkehr an die ursprüngliche Parkposition finden dann im autonomen Modus statt. Abseits des öffentlichen Raums kann das fahrerlose Nutzfahrzeug also schon zeigen, zu welchen Leistungen die Technik fähig ist. Im Realbetrieb würde sie den Fahrer früher in die Pause schicken und damit wertvolle Fahrzeit für den Job auf der Straße sparen. Doch bis die Entwicklung das höchste Level der Automatisierung erreicht und das komplette Straßennetz erobert, muss sie mit grenzübergreifender Gesetzgebung und einem hundertprozentig zuverlässigen Datenfunknetz noch zwei hohe Hürden überwinden.

ZF Innovation Truck demonstriert die Möglichkeiten eines automatisierten Betriebshofs. Mittels Kommunikation mit diversen Sensoren laufen logistische Prozesse autonom ab. Foto: ZF

ZF Innovation Truck demonstriert die Möglichkeiten eines automatisierten Betriebshofs. Mittels Kommunikation mit diversen Sensoren laufen logistische Prozesse autonom ab. Foto: ZF

Drei Fragen an Dipl.-Ing. Frank Leimbach, Bereichsleiter bei DEKRA

Dipl.-Ing. Frank Leimbach, Leiter des Bereichs „Konzernrepräsentanz Technische Angelegenheiten“ bei DEKRA. Foto: DEKRA

Dipl.-Ing. Frank Leimbach, Leiter des Bereichs „Konzernrepräsentanz Technische Angelegenheiten“ bei DEKRA. Foto: DEKRA

Elektronische Fahrerassistenzsysteme sind ein großer Schritt zur Entwicklung des automatisierten Fahrzeugs. Welche Rolle spielt hier DEKRA?

DEKRA engagiert sich u. a. bei den Vereinten Nationen (UNECE) in ausgewählten Gremien. Themen sind hier automatisiertes Fahren und Cyber-Security. Wir agieren hier als Berater der internationalen Gesetzgeber. […]

Was bedeutet die zunehmende Automatisierung für die Fahrzeugprüfungen?

Auch ein hochautomatisiertes Fahrzeug hat mechanische Bauteile. […] Das alles wird der Prüfingenieur wie bisher unter die Lupe nehmen. Allerdings kommt die Prüfung für die Elektronik dazu, die automatisierte Fahrzustände ermöglicht. […] Die Nutzung der Informationen aus dem Fahrzeug wird daher einen höheren Stellenwert erhalten. Wir werden deutlich mehr Daten aus dem Fahrzeug auslesen als bisher. […] Aufgrund der zukünftigen Software Updatemöglichkeit over the air werden viel mehr Varianten in kürzeren Zeitabschnitten entstehen und der Datenzugriff wird unabdingbar für die regelmäßige Prüfung.

Wird es neue Konzepte für die Hauptuntersuchung geben? Wie steht es mit der Typzulassung?

Die Typzulassung stellt sicher, dass ausschließlich geprüfte und zugelassene Systeme und Fahrzeuge in Verkehr kommen. Ein Fahrzeug, das der Hersteller gerade vorgestellt hat, kann morgen schon ein anderes sein, wenn über ein Software-Update neue, sicherheitsrelevante Funktionen installiert werden. Die HU sorgt für die Erhaltung der Verkehrssicherheit über den gesamten Lebenszyklus. Die zukünftig erhöhten Anforderungen der Cyber Security werden dazu führen, dass die Hardware gegebenenfalls schon nach wenigen Jahren erweitert oder erneuert und entsprechend neu zertifiziert werden muss. […]

Das gesamte Interview lesen Sie hier.

Überblick über Vorschriften zum autonomen Fahren

Das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968 sieht vor, dass ein Mensch immer die Kontrolle über das Fahrzeug haben muss. Der Einsatz selbstfahrender Fahrzeuge ist ohne staatliche Genehmigung fast überall illegal. International sind die Vorschriften zwar unterschiedlich, jedoch erteilen immer mehr Staaten Genehmigungen für das Testen autonomer Fahrtechnologie im öffentlichen Verkehr.

Überblick über Vorschriften zum autonomen Fahren. Foto: Agenten - Mathis Rekowski

Überblick über Vorschriften zum autonomen Fahren. Foto: Mathis Rekowski

Autonome Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr

Arizona: Gouverneur Ducey erteilte 2018 grünes Licht für fahrerlose Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr.
China: Shanghai stellte 2018 die ersten Genehmigungen für selbstfahrende Fahrzeuge aus.
Deutschland: Seit Mai 2017 erlaubt die deutsche Regierung das Testen selbstfahrender Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen.
Großbritannien: Die Regierung verabschiedete einen Gesetzentwurf zur Erstellung von Haftungs- und Versicherungspolicen für autonome Fahrzeuge.
Kalifornien: Das Kraftfahrzeugamt genehmigte 2018 den Betrieb fahrerloser, autonomer Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen.
Neuseeland: Ein Fahrzeug braucht laut Gesetz keinen Fahrer.
Niederlande: Im Jahr 2015 erteilte der Ministerrat die Genehmigung zum Testbetrieb für autonome Fahrzeuge.
Schweden: Im Dezember 2017 präsentierte Volvo das Projekt „Drive Me“ und stellte autonome Fahrzeuge zur Verfügung.
Singapur: Neues Gesetz erlaubt den Betrieb von Fahrzeugen ohne Fahrer.
Südkorea: Die K-City ist die größte Modellstadt für das Testen autonomer Fahrzeuge.
USA: 33 Staaten erlauben den Einsatz autonomer Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr.

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