Vom People Mover bewegt

Mit einem fahrerlosen Kleinbus unterwegs: Seit diesem Sommer rollt in Brandenburg der People Mover im öffentlichen Nahverkehr. Einsteigen ist erwünscht.

Der People Mover fährt bis zu 15 km/h schnell. Foto: DEKRA

Der People Mover fährt bis zu 15 km/h schnell. Foto: DEKRA

Ein normaler Morgen am Bahnhof von Wusterhausen/Dosse in Brandenburg. Ein weißer Kleinbus am Straßenrand wartet auf die ersten Mitfahrer des Tages, die er zum Verbrauchermarkt bringt. Das Besondere: Der People Mover fährt selbstständig. Ein Jahr lang wird er im Probebetrieb Passagiere kostenfrei befördern.

Das Interesse der 6.000 Einwohner großen Gemeinde im brandenburgischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin ist groß. Auch Gudrun S.* steigt heute in das klimatisierte Fahrzeug ein. „Der Bus fährt die Strecke automatisiert?“, will sie von einem Sicherheitsfahrer wissen. Der antwortet mit einem Ja, weist aber darauf hin, dass er bei Bedarf das Fahrzeug übernehmen kann, auch wenn die Steuerung der vorab einprogrammierten Strecke automatisiert abläuft. Der Sicherheitsfahrer achtet nicht nur auf die Maximalpassagierzahl von sechs Personen, sondern überwacht das Fahrzeug während der gesamten Fahrt. Tauchen Probleme oder Hindernisse auf, greift er ein. Parkt etwa ein Pkw auf der festgelegten Strecken des People Movers, schaltet der Sicherheitsfahrer in den manuellen Betrieb und manövriert den Bus um das Hindernis.

Grundlage für den Probebetrieb sind Gutachten der Experten im DEKRA Technology Center (DTC) in Klettwitz. „Unsere Kollegen haben zum einen das Gutachten zur Erteilung einer Einzelbetriebserlaubnis für das Fahrzeug erstellt. Zum anderen haben sie auch die vorgesehene Strecke begangen, befahren und eine Risikobegutachtung durchgeführt“, erklärt Steffen Hladik, Leiter der Abteilung Gesamtfahrzeug im DTC.

Das Fahrzeug der zweiten Generation des Typs „EasyMile EZ10“ vom französischen Hersteller Ligier fährt mit maximal 15 km/h durch den Ort. Souverän bringt er die Insassen zum Verbrauchermarkt und zur Ortsmitte. Auf etwa vier Kilometern fährt er quasi im Linienverkehr parallel zum regulären öffentlichen Personennahverkehr. Vorne rechts sitzt Gudrun S. und ist sichtlich beeindruckt von der mobilen Alternative auf leisen Sohlen.

Besonderheiten für automatisiert fahrende Fahrzeuge prüfen

Da der Bus auf öffentlichen Straßen unterwegs ist, musste er umfangreiche Tests und Prüfungen bestehen, um überhaupt eine Einzelbetriebserlaubnis zu erhalten. „Dabei geht es insgesamt darum, sicherzustellen, dass das Fahrzeug den Vorgaben der Straßenverkehrszulassungsordnung entspricht – oder dass dort, wo für den automatisierten Fahrbetrieb Ausnahmegenehmigungen notwendig sind, die Grundlagen vorliegen“, sagt DEKRA Experte Hladik.

Am 22 Juli 2019 startet der Probebetrieb in Wusterhausen/Dosse. Foto: DEKRAZum Start des Probebetriebs wollen viele Einwohner der Gemeinde einen Blick auf den Kleinbus werfen. Foto: DEKRAEin Sicherheitsfahrer ist immer mit an Bord. Foto: DEKRADEKRA erstellte für den autonomen Bus das Gutachten zur Erteilung einer Einzelbetriebserlaubnis. Foto: DEKRA

Bei den Prüfungen wurden dabei die üblichen technischen Fahrzeug-Parameter ermittelt, beispielsweise in Bezug auf Bremsen, Lenkung, lichttechnische Einrichtungen oder die Höchstgeschwindigkeit. Außerdem wurden die Besonderheiten für automatisiert fahrende Fahrzeuge abgeprüft. Das betrifft insbesondere die zusätzliche Sensorik am Fahrzeug für den automatisierten Betrieb und die Anforderungen an die manuelle Steuerung. Dazu wurden umfangreiche Verhaltenstests im automatisierten Betrieb unter anderem hinsichtlich der Erkennung anderer Verkehrsteilnehmer und der Infrastruktur durchgeführt.

Die Strecke wurde im Rahmen eines vom Bundesverkehrsministerium geförderten Forschungsprojekts ausgewählt, der Auftraggeber für die Gutachten war die vom Landkreis betriebene Ostprignitz-Ruppiner Personennahverkehrsgesellschaft (ORP). Daneben sind an dem Forschungsprojekt auch die Regionale Entwicklungsgesellschaft Nordwestbrandenburg sowie die Technischen Universitäten Berlin und Dresden beteiligt.

Gudrun S. ist vom Bahnhof zum Verbrauchermarkt gefahren. Sie verlässt den Bus mit einem Lächeln. Zum ersten Mal ist sie mit einem fahrerlosen Bus gefahren. Sie wird den People Mover während des einjährigen Probebetriebs mit Sicherheit noch öfter nutzen.

*Name von der Redaktion geändert.

Drei Fragen an Steffen Hladik

Steffen Hladik, Leiter der Abteilung Gesamtfahrzeug des DEKRA Technology Center (DTC) in Klettwitz. Foto: DEKRA

Steffen Hladik, Leiter der Abteilung Gesamtfahrzeug des DEKRA Technology Center (DTC) in Klettwitz. Foto: DEKRA

DEKRA solutions: Wie lief die Risikobegutachtung der Strecke ab?

Steffen Hladik: Die Risikobegutachtung erfolgte über eine detaillierte Aufnahme der Strecke. DEKRA Experten haben die Strecke befahren und im Video aufgenommen. Anschließend erfolgte eine gemeinsame Risikoanalyse und sicherheitstechnische Bewertung mit den Projektpartnern (u.a. TU Dresden). Dabei geht es darum, mögliche Risiken zu ermitteln – zum Beispiel Zebrastreifen, Ampelanlagen, Kreuzungen oder Parkstreifen. Auf dieser Basis hat die Behörde bestimmte Auflagen zur Anpassung der Infrastruktur erteilt. Außerdem wurde die Verkehrsdichte bewertet, um eventuell Tempo-Limits zu vereinbaren.

Wie sind die Pläne für die Zukunft?

Die Strecke soll erweitert werden, um weitere Bereiche zu erschließen. In diesem Zusammenhang sollen auch höhere Geschwindigkeiten freigegeben werden, so dass der eher langsam fahrende People Mover nicht den fließenden Verkehr beeinträchtigt.

Sind weitere Projekte geplant?

Bald wird auch in Berlin Tegel ein People Mover unterwegs sein, für den DEKRA ein Gutachten zur Erteilung einer Einzelbetriebserlaubnis erstellt hat. Und in Hamburg startet zudem das Projekt „Hamburg Electric Autonomous Transportation“ – kurz „Heat“. Auch für diesen fahrerlosen Bus reichte DEKRA im Juli bereits die Zulassungsunterlagen ein. Der Bus hat sein Kennzeichen erhalten und nimmt ab September den Probebetrieb auf. In Frankfurt am Main soll ebenfalls zeitnah ein People Mover Projekt an den Start gehen.

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