Baustein für bessere Strahlentherapie
Die Strahlentherapie entwickelt sich zur Hightech-Medizin. Je exakter die Behandlung, desto größer der Erfolg. Ein wichtiger Baustein ist der Patientenpositionierer.

Der Patientenpositionierer dient zur Ausrichtung des Menschen bei einer Strahlentherapie. Er korrigiert präzise kleinste Bewegungen, die etwa durch die Atmung entstehen. Dadurch wird die Behandlung optimiert. (Bild: DEKRA)
Ein Mensch schwebt auf einer Liege fast lautlos durch den Raum. Holzvertäfelungen, Dämmerlicht, ein Beamer wirft einen Sonnenaufgang an die Wand, meditative Musik wie in einem Spa. Entspannung ist wichtig, denn es geht bei der Strahlentherapie ums Leben. Zunächst erstellt ein neuartiges, drehbares Röntgensystem, das direkt am Patiententisch montiert ist, dreidimensionale Aufnahmen in höchster Bildqualität. Es definiert die genaue Lage des Tumors. Ein optisch ansprechender Roboterarm, der von der Decke herunterreicht, hat dann das Kommando. Er transportiert den Patienten zum Behandlungsstrahl. Die Einzeltherapie kann beginnen.
Das Positioniersystem verfügt über sieben unabhängige Bewegungsrichtungen. Ein optisches Überwachungssystem kontrolliert 500 Mal pro Sekunde die Position der Liege und korrigiert diese auf einen halben Millimeter genau in Echtzeit, etwa wenn sich der Mensch und die Liege unerwartet bewegen. Die Behandlung dauert fünf bis zehn Minuten. Dahinter steckt ein gewaltiger Aufwand, den MedAustron in Wiener Neustadt treibt. Das komplett neue Behandlungs- und Forschungszentrum für Ionentherapie, das ab 2011 in der Rekordzeit von nur 18 Monaten errichtet wurde, verfügt sogar über einen eigenen Teilchenbeschleuniger und wendet innovative Technik an, die es vorher noch nicht gab.
Dazu gehört beispielsweise das Exacure-System des Reutlinger Partners BEC, das unter anderem den Roboterarm beinhaltet. Matthias Buck hat BEC schon 2003 während der Studentenzeit gegründet, ein echtes Start-up-Unternehmen, das vor Kurzem noch zünftig in der Halle eines Handwerkbetriebs residierte, aber jetzt ins Industriegebiet umsiedelt. Durch Projekte verfestigte der Wirtschaftsingenieur Kontakte zu Kuka, einem renommierten Hersteller von Industrierobotern, und zu Siemens. Für den Münchner Technologiekonzern arbeitet das BEC-Team an robotischen Lösungen im Bereich Strahlentherapie. Die Spezialität war die Entwicklung von Soft- und Hardware, die dem Roboter neue Anwendungsfelder eröffnete. Als dann Siemens den Therapiebereich aufgab, erkannte BEC die Markt lücke, die sich hier auftat. Mit jetzt 28 Mitarbeitern entwickeln die Ingenieure und Naturwissenschaftler bei BEC eine sehr breite Technologiebasis mit einem bestimmten Ziel: Die Mensch-Roboter-Kooperation zu verbessern.
Buck: „Die größte Herausforderung in diesem Bereich ist es, die elektrischen und mechanischen Sicherheits-anforderungen zu erfüllen, die entstehen, wenn Mensch und Maschine in enge Interaktion treten.“ BEC ist jetzt ein zertifizierter Medizinproduktehersteller nach ISO 13485 mit Niederlassungen in Atlanta/USA und Montpellier/Frankreich. Der Patientenpositionierer ist jedoch nicht das einzige Produkt, das BEC im Portfolio hat. Ein weiterer Schwerpunkt sind robotische Bewegungssimulatoren, etwa für die Ausbildung in der Luftfahrt. Dabei sitzt der Pilot in einer geschlossenen Kapsel, auf deren Innenwänden Flüge visualisiert werden. Der Roboterarm, auf dessen Hand die Gondel montiert ist, deckt große Bewegungsräume ab, beherrscht Zentrifugal-beschleunigungen und bietet die Möglichkeit, Piloten in extreme Lagen zu bringen, lässt sie zum Beispiel eine schnelle Rollbewegung erfahren.
Das System von BEC ist zurzeit das einzige weltweit, das menschliches interaktives Handeln auf der Basis einer Roboter-Kinematik mit sechs Achsen und einer Zuladung von bis zu einer Tonne erlaubt. Bewegungssimulatoren sind sogar in der Landwirtschaft interessant. In einem Projekt mit der Universität Hohenheim wird es darum gehen, welche Bedienelemente in einem Traktor, der in ganz unterschiedlichem Gelände zu diversen Zwecken eingesetzt werden kann, optimal sind, um die Komplexität der unterschiedlichen Aufgaben zu verringern und die Arbeitsabläufe zu optimieren.
BEC nimmt damit ohne falsche Bescheidenheit ein Postulat der „Industrie 4.0“ vorweg, ein Begriff , der erstmals 2011 auf der Hannover Messe kursierte. Ein erklärter Schwerpunkt ist dabei die Verbesserung der Mensch-zu-Maschine-Kommunikation. Buck mit einem Augenzwinkern: „Was dort noch gefordert wird, können Sie bei mir schon im Katalog bestellen.“
Medizinprodukte müssen extrem hohe Sicherheitsstandards erfüllen
BEC hat bei MedAustron zunächst drei Patientenpositionierer installiert, ein vierter folgt. Es sind eigentlich Industrieroboter, die zu Tausenden an den Industriebändern stehen. Sie funktionieren aber jetzt als Medizinprodukte und müssen ganz andere Standards an Sicherheit erfüllen. Dazu erstellte Karsten Dankmeyer, Teamleiter Medizin Produktprüfung bei der DEKRA Testing and Certification GmbH, eine umfangreiche Prüfdokumentation als Grundlage der Medical Device Certification GmbH (MDC) in Stuttgart, welche die Zertifizierung nach EU-Richtlinien erteilt. Dankmeyer prüft in Stuttgart und Dresden seit 2011 mit drei Mitarbeitern „aktive“ medizinische Geräte. Den tonnenschweren Patientenpositionierer hat er sich jedoch nicht ins Labor bestellt, dafür ist er von Februar bis August 2015 regelmäßig nach Reutlingen gereist und legte schließlich eine Dokumentation vor, die rund 200 Seiten für die Hard- und Software umfasst.
„Es ging um die elektrische Sicherheit der gesamten Anlage, ihre mechanische Belastbarkeit und das komplette Risikomanagement.“ Die Hersteller forcieren die Vernetzung. Dankmeyer: „Sie bieten nicht mehr nur einzelne Geräte an, sondern ganze Systemlösungen. BEC ist ein gutes Beispiel für diesen Trend. Der Patientenpositionierer ist sicher ein Höhepunkt meiner Prüfertätigkeit.“ MedAustron befindet sich noch in der Testphase. „Die Herausforderungen sind die Schnittstellen der unterschiedlichen Systeme“, weiß Buck. Aber 2016 startet der Betrieb nach Plan. Die Wiener rechnen mit 1.400 Patienten jährlich. Viele krebskranke Menschen werden nachhaltig von dieser speziellen Ionentherapie profitieren, die Heilung für Fälle verspricht, die bisher als unbehandelbar galten – neue Hoffnung fürs Leben.