Interview: Die Arbeitswelt unter Industrie 4.0

Die zukünftige Arbeitswelt werde maßgeblich von neuen Technologien geprägt, sagt Prof. Irmgard Nübler – eine globale Herausforderung.

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Irmgard Nübler spricht im Interview von der Zukunft der Arbeitswelt unter dem Einfluss neuer Technologien. (Bild: DEKRA)

Was bedeutet Industrie 4.0?
In erster Linie geht es dabei ja darum, das Zusammenspiel von unterschiedlichen Prozessen zu automatisieren und Produktionsprozesse zu integrieren und optimieren. Manche Ökonomen sehen diese Entwicklung als eine vierte industrielle Revolution, andere gehen von einer Fortführung der Digitalisierung aus, die ohnehin schon seit einer geraumen Weile stattfindet. Die bislang weithin ungeklärte Frage ist, wie sich die neuen Entwicklungen auf die Arbeitswelt auswirken. Hier gehen die Meinungen weit auseinander. Sicher ist, dass viele Jobs in der Industrie, gerade auch im Mittelbau, wegfallen werden und neue in den oberen und unteren Segmenten entstehen.

Wie müssen wir uns das vorstellen?
Wir kennen ja die Zukunft nicht und können nur spekulieren, aber man muss davon ausgehen, dass wesentlich mehr sehr gut ausgebildete Arbeitskräfte gebraucht werden, Ingenieure und Softwareentwickler zum Beispiel. Früher ersetzten Maschinen hauptsächlich Arbeiter, die Routineanforderungen erledigten, jetzt können Maschinen lernen und damit fallen zunehmend auch anspruchsvollere Aufgaben weg. Auch die Tätigkeiten von Architekten oder Ärzten beispielsweise werden sich stark verändern. Ähnlich wie im industriellen Bereich werden Aufgaben standardisiert und von Computern übernommen. Ich denke dabei zum Beispiel an die medizinische Diagnostik oder die Auswertung von Dokumenten. Das ist eine große Herausforderung für die Industrieländer. Auch die Führungsaufgaben werden sich fundamental verändern. Wenn Maschinen mit lernenden Algorithmen ausgestattet sind und Routine-Entscheidungen treffen, müssen Manager in die Zukunft hinein entscheiden, Ziele klar definieren und festlegen, welches Risiko sie eingehen wollen. Das erhöht den Verantwortungsdruck noch einmal mehr.

Die Belastungen im Berufsalltag sind ja ohnehin schon nicht gerade gering. Kann man da noch immer weiter draufsatteln? Psychische Belastungserkrankungen stehen bei den Berufskrankheiten ja schon mit an vorderster Stelle.
Arbeitnehmer müssen nicht nur vor körperlichen Schäden und Verletzungen geschützt werden, sondern auch vor Phänomenen wie Burnout, die mit der digitalen Arbeitswelt zugenommen haben. Man kann technologische Entwicklungen nicht verhindern, aber man muss für das neue Spiel neue Regeln gestalten. Manche Risiken fallen mit der Digitalisierung weg, gefährliche, unangenehme oder monotone Arbeiten können von Robotern übernommen werden, andere Arbeitsformen entstehen. Wir brauchen also Gesetze und Institutionen, die für akzeptable, menschenwürdige Arbeitsplätze und -bedingungen sorgen. Auch eine Überwachung der Einhaltung der Arbeitsstandards ist ganz wichtig. Es geht darum, eine Arbeitswelt zu schaffen, die wir als Gesellschaft wollen, in der wir leben wollen. Hier ist die Politik lenkend gefordert. Der Dialog zwischen Staat und Sozialpartnern, aber auch der Zivilgesellschaft ist ein entscheidendes Instrument, damit sowohl die Interessen der Wirtschaft als auch der gesamten Gesellschaft berücksichtigt werden.

Höre ich da einen kritischen Unterton?
Wer im globalen Wettbewerb bestehen will, muss seine Produktivität erhöhen und effizienter werden. Dieses Ziel hat die Automatisierung in den Industrieländern vorangetrieben. Wenn aber viele Jobs von Maschinen übernommen werden, kann das auch Arbeitslosigkeit erzeugen. Die Digitalisierung hat zu einer zunehmenden Polarisierung geführt. Der Anteil der Geringverdiener und von gut verdienenden Arbeitern steigt, während Jobs für mittlere Qualifikationen wegfallen. Wir sehen gerade in den USA, dass die Mittelschicht rasant schrumpft. Aber eine starke Mittelschicht sorgt auch für Kaufkraft. Die jetzige Herausforderung ist für jedes Land, Entwicklungsziele zu definieren und eine gute Balance zu finden zwischen den Zielen Produktivität, Beschäftigung und guter Arbeit.

Was halten Sie für die größte Herausforderung bei der Digitalisierung?
Unsere Forschung konzentriert sich sehr, sehr stark auf die Weiterentwicklung der Technologien in der industriellen Produktion. Man müsste aber auch andere Fragen verstärkt angehen und technologische Lösungen für globale Herausforderungen entwickeln. Bald gibt es zehn Milliarden Menschen auf der Welt, und die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist bereits jetzt ein Problem. In der Medizin sind die zunehmenden Resistenzen gegen Antibiotika eine große Sorge, und bei der Energieerzeugung müssen wir in der Innovationsforschung neue Wege gehen und völlig neue Technologien entwickeln, um hier voranzukommen. Die Lösung solch komplexer Probleme kann nicht von einem Land gemeistert werden, sondern erfordert eine globale Kooperation.

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