Kampf der Systeme
Autofahrer und Fans erleben den wohl seit Langem spannendsten Wandel in der Automobilwelt, von den klassischen zu den alternativen Antrieben. Doch sind die Alternativen eigentlich umweltfreundlich? Und werden wir uns vom Verbrenner verabschieden müssen?
Es ist fünf Jahre her, dass in der Automobilszene ein großes Jubiläum gefeiert wurde: Das Auto wurde 125 Jahre alt. Experten haben sich auf das Jahr 1886 als Geburtsstunde des Automobils geeinigt, nämlich als Carl Benz seinen Motorwagen auf die Straße brachte. Er lief mit einem wassergekühlten Einzylinder-Viertakter. Das klingt irgendwie bekannt, nur dass das heutige Mainstream-Auto über vier Zylinder verfügt. Mit anderen Worten: Auch wenn sich das Auto in den letzten 130 Jahren grundlegend verändert hat – unter dem Blech steckt bis heute die gleiche Antriebstechnik, jedenfalls vom grundlegenden Prinzip. Doch wir leben in einer Zeit, da der Wandel des Autos sozusagen vor der Türe steht. Eine hohe Anzahl verschiedener Batterie-Elektro-Modelle lassen sich in den Preislisten der Hersteller bereits finden. Gar wasserstoffangetriebene Fahrzeuge sind bereits zu kaufen. Allerorten wird diskutiert, ob die Klassiker mit Benzin oder Diesel überhaupt noch eine Zukunft hätten.

Saubere Strategie: Bis zu den Olympischen Spielen 2020 plant Tokio den Bau eines „Wasserstoff Highways“. Foto: Yoshikazu Tsuno/AFP/Getty Images
Doch der Reihe nach. Auch wenn das Elektroauto für Kunden der heutigen Zeit eine Neuheit ist, so ist es in Wirklichkeit gar nicht neu. Zu Anfang des letzten Jahrhunderts gab es einen ähnlichen Wettbewerb um die Antriebssysteme und die Elektroautos hatten zunächst sogar die Nase vorn. Sie fuhren mit großen, schweren Bleiakkus, deren Nachteile die gleichen waren wie jene der heutigen batterieelektrischen Fahrzeuge: Erstens waren die Reichweiten zu gering, als dass man von Alltagstauglichkeit sprechen konnte. Und zweitens war die lange Akku-Ladezeit ein Hindernis für den reibungslosen Gebrauch des Autos. Man hat sich natürlich auch in den Anfängen schon beholfen – so gab es in New York Tauschstationen für die Akkus, wie Autohistoriker Gijs Mom weiß. In der Frühzeit des Verbrenners, als elektrische Anlasser noch keine Selbstverständlichkeit waren und man mühsam kurbeln musste, hatten die Stromer eine gewisse Attraktivität wegen ihrer einfachen Bedienung – zumindest für das urbane Einsatzgebiet, wo die Reichweitenproblematik nicht so durchschlug.
So ist es im Grunde immer noch. Die heutigen Alltagsdefizite der meisten Elektroautos resultieren aus der geringen Batteriereichweite sowie den meist recht langen Ladezeiten von etlichen Stunden. Selbst mit Schnellladetechnik muss der Wagen wenigstens für eine halbe Stunde ans Kabel. Trotz intensiver Entwicklung und Forschung ist es bisher nicht gelungen, Stromspeicher auf den Markt zu bringen, die eine ähnliche Energiedichte aufweisen wie chemische Kraftstoffe.
Strenge Vorgaben
Warum gibt es trotzdem diesen Hype um das Elektroauto? Die Gründe dafür sind vielfältig. Ob die endlichen Erdölreserven den Ausschlag gegeben haben mögen, sei dahingestellt. Fakt ist, dass das tatsächliche Ende des Ölzeitalters kaum prognostiziert werden kann – zu unwägbar sind die äußeren Umstände. So wird die Fördertechnologie zwar immer noch besser, allerdings steigt auch der weltweite Bedarf – man denke alleine an China, dessen Automarkt lange noch dynamisch wachsen wird. Dennoch, ein rasches Versiegen des fossilen Brennstoffs ist nicht in Sicht, was nicht zuletzt die dauertiefen Ölpreise erklärt.
Ein großes Thema sind die lokalen Emissionen. Wenngleich Deutschland nicht mit smogverpesteten Megacitys zu kämpfen hat, demonstriert beispielsweise Stuttgart immer wieder, dass Feinstaub ein Problem ist. Die Schwabenmetropole hat angekündigt, bei hoher Luftbelastung als ultima ratio sogar Fahrverbote auszurufen. Von Industrie und Autos verursachte Stickoxide sorgen für Ozonbildung, welche die Atemwege reizen kann.

Dicke Luft: Der Smog macht der Bevölkerung in Los Angeles zu schaffen. Foto: Mike Abrahams/Alamy Stock Photo
Nicht nur die Luftverschmutzung wird die Industrie dazu zwingen, am Ende des Tages Elektroautos zu verkaufen: Es sind die strengen CO₂- Grenzwert-Vorgaben, deren Rücknahme politisch quasi nicht vorstellbar ist. Dabei sind 95 Gramm CO₂ Flottenverbrauch bis 2021 in Europa nur der Anfang. Auch in den USA, wo unter vielen Motorhauben noch ein V8 brabbelt, schraubt die Politik die Emissionen herunter. Bis 2025 sollen dort die 90 Gramm CO₂/km durchschnittlich nicht mehr überschritten werden. Am Rande der letztjährigen UN-Klimakonferenz in Paris hatte sich Deutschland der sogenannten Zero Emission Vehicle Alliance angeschlossen, die das Ziel ausgibt, bis zum Jahr 2050 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zu verkaufen.
Ein hehres Ziel, das der Umwelt dienen kann, aber gar nicht zwingend muss. Beim derzeitigen Strommix jedenfalls wäre auch das E-Auto nicht umweltfreundlich, denn laut dem World Energy Council erzeugt die Menschheit über zwei Drittel ihres Stroms aus fossilen Brennstoffen. Kommt der beispielsweise aus einem modernen, kohlebetriebenen Dampfkraftwerk, das einen Wirkungsgrad von unter 50 Prozent erreicht und mächtig CO₂ produziert, dann hilft es auch nicht weiter, dass der Wirkungsgrad des elektrischen Motors gegen 100 Prozent geht. Dazu kommt, dass es global gesehen große Unterschiede beim Strommix gibt. Während etwa China und Indien verstärkt auf Kohle setzen, will Deutschland die Kernenergie abschaffen. So wird auch hier noch über viele Jahre eine Menge Kohle verfeuert werden.
»Das Auto der Zukunft wird elektrisch und emissionsfrei sein«

Dr. Dieter Zetsche, Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars. Foto: Daimler
Förderungsfall E-Mobilität
Davon unbenommen geht die Entwicklung voran. Um beim leisen Stromer den Durchbruch zu erzielen, gibt es noch viel zu tun. Die Reichweiten müssten sich massiv verlängern und die Ladezeiten drastisch verkürzen. Die seit Anfang Juli in Deutschland gewährte staatliche Förderung von 4.000 Euro für ein E-Fahrzeug bis 60.000 Euro Listenpreis ist nach ersten Auswertungen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle seither rund 1.800 Mal beantragt worden. 2015 lag der Anteil der E-Autos bei den Zulassungen bei 0,3 Prozent. Das bedeutet noch ein ganzes Stück Arbeit, um die bis 2020 gewünschte Million Exemplare auf der Straße rollen zu sehen.
In Norwegen, wo die Elektroauto-Dichte im europäischen Vergleich am höchsten ist und der Marktanteil gegen 20 Prozent läuft, sind die Fördermaßnahmen wirksamer. Konventionelle Autos mit Verbrenner besteuern die Skandinavier deutlich energischer und E-Autos sind im Umkehrschluss stärker entlastet als beispielsweise in Deutschland. In Oslo kann man mit einem Elektro-Golf bis zu 9.000 Euro einsparen gegenüber der Variante mit Verbrennungsmotor. Hinzu kommen diverse Vorteile, etwa die Erlaubnis, auf der Busspur zu fahren, kostenloses Aufladen an öffentlichen Plätzen oder Gratisparken. Das stressfreie Cityhopping auf der Busspur funktioniert natürlich nur, solange die E-Autos in der Minderzahl sind, sonst stauen sie sich auf den Sonderbahnen – folglich keine Dauerlösung. Die 5,5 Millionen Norweger verfügen über rund 9.000 Ladeanschlüsse, während Deutschland seinen 81,8 Millionen Einwohnern zurzeit gerade einmal 15.000 Steckdosen bereitstellt.

Kostenlos parken und laden: Norwegen hat nicht umsonst die höchste E-Auto-Dichte weltweit. Foto: Ilja C. Hendel/Laif
Mit den systembedingten Nachteilen des E-Autos freilich kämpfen auch die Skandinavier, deren Strom übrigens zu rund 95 Prozent aus Wasserkraft gewonnen wird. Doch das batterieelektrische Fahrzeug ist nicht die einzige Elektro-Alternative, an der die Autoingenieure mit Hochdruck arbeiten. Hoch im Kurs steht die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle, für die es weder ein Reichweitenproblem, noch die elend langen Akku-Ladezeiten gibt. Denn der Wasserstoff ist analog zu den herkömmlichen chemischen Kraftstoffen binnen weniger Minuten tankbar. Derzeit rangieren indes sowohl Modellangebot, als auch Tankinfrastruktur auf niedrigem Level. Nicht einmal 40 Tankstellen sind in Deutschland in Betrieb, Stand Januar 2016 – 95 sind es in Europa und 50 in den USA. Etwas mehr als 100 Stationen gibt es in Japan. Die Japaner sind ambitioniert in Sachen Wasserstoff: Bis zum Jahr 2030 sollen dort satte 5.000 Stationen entstehen. In Deutschland sind laut H₂ Mobility 400 entsprechende Tankstellen bis zum Jahr 2023 geplant, immerhin.
Foto: Michael Stach
Fakt ist natürlich, dass batterieelektrische Autos weit weniger aufwendig konstruiert sind als Brennstoffzellen-Fahrzeuge. Neben der hochkomplexen Brennstoffzelle selbst muss ja auch noch ein druckresistenter Tank (heutzutage in der Regel aus leichtem carbonfaserverstärktem Kunststoff, CFK) installiert werden. Gelänge es den Wissenschaftlern rasch, eine Akkutechnologie mit deutlich höherer Energiedichte zu entwickeln, als derzeitige Lithium-Ionen-Speicher abdecken können, hätte es die Brennstoffzelle wohl schwer. Wer weiß, was die Batterien der Zukunft leisten – schließlich arbeitet die Forschung mit Hochdruck an neuen Technologien. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass der jetzt verwendete Lithium-Ionen-Akku nicht die letzte Batterietechnologie sein wird. Und wenn man den Automobilherstellern glauben darf, werden Reichweiten von bis zu 500 Kilometern schon in naher Zukunft Realität werden.
Allerdings würden flächendeckend aufgestellte Elektrolyseanlagen zur Wasserstoffgewinnung einen Beitrag zur nachhaltigen Stromproduktion leisten. Denn während man derzeit große Überschussmengen elektrischer Energie beispielsweise im Falle von Windspitzen nicht auffangen kann, weil es eben keine schnell „befüllbaren“ Akkus gibt, könnte Wasserstoff hingegen verzögerungsfrei produziert und somit unbegrenzt Strom gespeichert werden. So oder so gilt: Umweltfreundlich sind E-Autos sämtlicher Art nur dann, wenn der Strom auch nachhaltig produziert wird.
Brückentechnologie
Neben dem E-Auto und der Brennstoffzelle sind Plug-in-Hybride eine weitere Alternative, wenn es um emissionsfreies Fahren in Städten geht. Gesamtbilanziell betrachtet schneiden sie schlecht ab – die Bauweise mit Verbrennungsmotor und E-Maschine ist komplex, das Gewicht hoch. Und auf der Langstrecke konsumieren sie Benzin oder Diesel – eben wie herkömmliche Autos mit Verbrenner. Die meisten Experten sehen sie als Brückentechnologie, auch und gerade, um den Herstellern dabei zu helfen, die CO₂-Grenzwert-Gesetzgebung zu erfüllen.

Großer Plan: Tesla-Mega-Batteriefabrik, die 2017 mit der Produktion beginnen soll. Foto: dpa Picture Alliance
Es gilt noch viele Hürden zu überwinden. Aber der Umbruch in der Antriebstechnologie ist nicht mehr aufzuhalten: Verschiedene Staaten haben bereits das Jahr benannt, ab dem sie aus umwelt- und wirtschaftspolitischen Gründen keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen wollen. Megacitys drohen im Smog zu ersticken und müssen die Gesundheit ihrer Einwohner schützen. Die Hersteller müssen daher Autos mit alternativen Antrieben entwickeln, um die immer strengeren CO₂-Limits der Zukunft zu erfüllen. Die Preise für Batterien werden mit den Skaleneffekten und dem Bau neuer Batterie-Megafabriken weiter fallen. Neue Player wie Tesla, Google oder Apple wittern die Chance, die arrivierte Industrie bei den alternativen Antrieben in Kombination mit dem autonomen Fahren auszustechen. Und nicht zuletzt wollen sich Staaten wie China an die Spitze der E-Auto-Entwicklung setzen und sich einen Vorsprung auf dem Weltmarkt verschaffen. Wir leben in einer spannenden automobilen Zeit.
Elektroautos fürs Museum der Zukunft
Luftfahrt – noch mal ganz von vorn
Für die Luftfahrtindustrie ist die nachhaltige Fliegerei eine Jahrhundert-Aufgabe. Natürlich spielen dabei auch alternative Antriebe mit Batterien, Wasserstoff und Brennstoffzellen eine wichtige Rolle. Aber kein Ingenieur kann einfach tonnenweise Akkus in einen Flieger packen. Gefragt sind jetzt radikale und revolutionäre Flugzeug- und Antriebskonzepte.