Jemand an Bord?

Künstliche Intelligenzen können demnächst in der maritimen Wirtschaft Karriere machen: Weil Fachpersonal und Laderaum knapp sind und die Transportkosten hoch, setzen immer mehr Reeder auf Schiffe mit modernsten Assistenzsystemen und autonomen Fahrfunktionen.

Autonome Schiffe werden komplett ohne Kapitän und Mannschaft auskommen. Foto: Fotolia Kalyakan

Wenn in Zukunft autonome Wasserfahrzeuge durch die Wellen pflügen, muss die Geschichte der Geisterschiffe neu geschrieben werden. Legenden wie der Fliegende Holländer und die Marie Celeste haben eines gemeinsam. Beide Segler hatten eine Besatzung an Bord, bevor sie in den Weiten der Ozeane das Schicksal ereilte. Autonome Schiffe dagegen stechen ohne eine Mannschaft in See, die für Navigation und Manöver zuständig wäre. Den Part von Kapitän, Offizieren und Matrosen übernehmen Künstliche Intelligenzen. Sie sorgen dafür, dass sich das Schiff stets richtig zum Seegang verhält und Hindernissen auf dem Kurs ausweicht. Vermutlich wird es noch einige Jahrzehnte brauchen, bis solche Szenarien Wirklichkeit werden. Das internationale Seerecht stellt dafür allerdings heute schon die Weichen. Schließlich sind autonome Schiffe keine aufgegebenen Schiffe, die jeder Skipper in Besitz nehmen könnte, wenn er ihnen auf der Fahrt begegnet. Seit Mai 2018 befasst sich daher ein Sicherheitsausschuss der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) mit den Regeländerungen, die der Einsatz von Roboterschiffen nötig macht.

Schiffe mit autonomen Fähigkeiten nehmen Fahrt auf

Länder wie Norwegen, Finnland und Australien arbeiten bereits an autonomen Schiffen, Japan will ab 2025 unbemannte Containerriesen in Richtung USA schicken. Auch in Deutschland nehmen Schiffe mit autonomen Fähigkeiten Fahrt auf. Einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers zufolge gehen rund ein Viertel der Reeder hierzulande davon aus, dass die unbemannte Schifffahrt kommen wird. Die Hamburger Reederei Bernhard Schulte ist mit einem teilautonomen Containerschiff bereits in dieser Richtung unterwegs. Ausgestattet mit Assistenzsystemen für autonome Navigation, Identifikation und Kollisionsverhütung, hat die „Hannah Schulte“ vor kurzem eine mehrtägige Reise über drei Häfen im Mittelmeer erfolgreich absolviert.

Der maritimen Wirtschaft dürften solche Projekte Auftrieb geben. Sie kämpft mit dem Mangel an Fachpersonal, hohen Transportkosten und steigendem Frachtaufkommen. Von Schiffen mit autonomen Technologien verspricht man sich geringere Personalkosten, effizientere Routen, einen reduzierten Verbrauch von Kraftstoff und mehr Ladekapazitäten. Auch bei der Sicherheit lassen sich Stellschrauben drehen. Eine aktuelle Statistik besagt, dass in den Jahren zwischen 2011 und 2016 rund 75 Prozent des Schadenwerts aller Schiffsunglücke auf menschliche Fehler zurückgeht.

Auch die Binnenschifffahrt kann durch Assistenzsysteme erleichtert werden. Foto: DLR

Assistenzsysteme erleichtern die Schiffsführung

Dass sich mit leistungsstarken Assistenzsystemen Unfälle vermeiden oder zumindest die Folgen mildern lassen, kennt man aus dem Straßenverkehr. Die Entwicklung der unbemannten Schifffahrt dürfte  einen ähnlichen Weg nehmen wie das autonome Fahren an Land. In der ersten Phase dienen automatisierte Systeme der Unterstützung der Besatzungen. Das wird vor allem in stark frequentierten Seegebieten die Schiffsführung erleichtern. In weiteren Phasen kommen dann hoch automatisierte und autonome Schiffe in ausgewiesenen Zonen und auf bestimmten Strecken zum Einsatz. Die Bundesregierung hat diese Entwicklung im Blick, wie eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion Ende Juni 2018 zum Potenzial der autonomen Schifffahrt in Deutschland deutlich macht. Auf der politischen Agenda stehen demnach Testgebiete für hoch automatisierte, ferngesteuerte und autonom fahrende Schiffe und Systeme. Besonders geeignet seien dafür Stadtgebiete mit einem verzweigten Wasserstraßennetz, der Bereich der Unterelbe und großflächige Häfen.

Neue Technologien für die Binnenschifffahrt

Tatsächlich können Assistenzsysteme auch auf Flüssen und Kanälen für mehr Sicherheit und Komfort sorgen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erforscht bereits Systeme, die auf die Belange der Binnenschifffahrt zugeschnitten sind. Dazu gehört ein Bahnführungsassistent, der das Schiff selbstständig auf einer zuvor festgelegten Route steuert. Eine Brückenanfahrwarnung überprüft während der Fahrt, ob das Schiff die nächste Brücke sicher durchfahren kann oder ob Steuerhaus und Radarmast abgesenkt werden müssen. Im Hafen wiederum unterstützt ein Anlegeassistent den Schiffsführer bei seinem Manöver, indem er Abstände zu Kaimauern und anderen Schiffen angibt. Hier wie dort arbeiten die elektronischen Helfer mit einer genauen Positionsbestimmung für das Wasserfahrzeug, die neben GPS-Daten auch Informationen wie den aktuellen Wasserstand einbezieht. Der Leistungsnachweis für diese Systeme liegt schon vor. Die DLR-Wissenschaftler haben einen bestens ausgestatteten Versuchsträger Ende Mai 2108 auf dem Main in der Region um Würzburg auf Testfahrt geschickt. Wie es heißt, hat die „MS Jenny“ den rund 20 Kilometer langen Parcours mit zwölf Brücken erfolgreich absolviert.

Die „MS Jenny“ hat einen Testparcours mit zwölf Brücken erfolgreich absolviert. Foto: DLR

Norwegen startet das Innovationsprojekt „Yara Birkeland“

Ein spektakuläres Innovationsprojekt nimmt übrigens derzeit in Norwegen Gestalt an. Dort soll Anfang 2020 das weltweit erste Containerschiff mit Elektroantrieb und autonomen Fahrfunktionen vom Stapel laufen. Der knapp 80 Meter lange und 15 Meter breite Frachter mit einer Ladekapazität von 120 Containern trägt den schönen Namen „Yara Birkeland“ und gehört dem Chemieunternehmen Yara. Er soll im Süden Norwegens Chemikalien und Dünger von den Produktionsanlagen am Industriestandort Heroya in die Häfen von Brevik und Larvik transportieren. In der ersten Betriebsphase wird eine Besatzung an Bord das Schiff steuern. Der autonome Modus soll dann nach und nach bis 2022 realisiert werden. Ein eigens eingerichtetes Kontrollzentrum an Land übernimmt dann die Aufgabe, den Kurs des Schiffes zu überwachen und in Notfällen einzugreifen.

„Yara Birkeland“ soll das weltweit erste Containerschiff mit Elektroantrieb und autonomen Fahrfunktionen werden. Foto: Yara.

Bevor Roboterschiffe wie die Yara Birkeland Kurs auf internationale Gewässer nehmen können, stehen jedoch noch knifflige Fragen zur Klärung an. Wer trägt zum Beispiel die Verantwortung, wenn die Künstliche Intelligenz in einer gefährlichen Situation die falsche Entscheidung trifft? Autonome Schiffe sollen zudem besonders anfällig für Cyberangriffe sein. Wenn Kriminelle unbemerkt Ortungssignale manipulieren, droht ihnen das gleiche Schicksal wie einst dem Fliegenden Holländer. Sie werden dann zum Geisterschiff.

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