Interview: Arbeiten in der digitalen Welt

Weniger belastende Tätigkeiten, mehr Kreativität – die Arbeitswelt der Zukunft wird Freiräume schaffen, meint der Arbeitswissenschaftler Prof. Wilhelm Bauer.

2012 erhielt Wilhelm Bauer die Auszeichnung als Übermorgenmacher“. Der Technologiebeauftragte des Landes Baden-Württemberg setzt sich besonders für die Einbindung des Mittelstands in die Digitalisierung ein; Photo: Boris Schmalenberger

 

Wie werden die Jobs der Zukunft aussehen?

Bauer: Genau weiß das niemand. Sie werden sich durch die Digitalisierung wandeln. Wir erwarten, dass insbesondere kognitive Systeme, also datenbasierte neue Geschäftsmodelle zu Veränderungen führen. Technik wird bestimmte, sehr leicht formalisierbare Prozesse übernehmen.

Heißt das, es steht nicht ein Job als Ganzes auf dem Spiel, sondern lediglich einzelne Aufgaben?

Bauer: Wenn wir ganz langfristig denken, werden bestimmte Berufe komplett verschwunden sein. Sicher ist, dass sich Jobprofile verändern. Bestimmte Aufgaben werden von der Technik übernommen, andere aber auch nicht.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Bauer: Denken wir an Pflegeeinrichtungen. Wenn hier Roboter älteren Menschen regelmäßig Wasser bringen, entlastet die Maschine das Pflegepersonal und schafft Freiräume für eine persönlichere Betreuung. Einfache und leicht programmierbare Aufgaben übernimmt die Technik. Anspruchsvollere, soziale oder kreative Tätigkeiten bleiben bei den Menschen. Das ist das Positive an der Digitalisierung, dass Menschen künftig interessante, eher höherwertige Tätigkeiten machen werden und Maschinen die monotonen, schwierigeren oder kraftraubenden Jobs. Menschen werden mehr koordinieren, steuern und planen.

Werden die Jobs zukünftig vom gesundheitlichen Aspekt her sicherer sein? Wird es weniger Berufsunfälle geben?

Bauer: Wenn man zwischen Mensch und Maschine noch ein Tablet als Steuerungsschnittstelle einfügt, kann der Arbeitnehmer in der Fabrik beispielsweise aus sicherer Entfernung Abläufe beeinflussen und steuern. Wir werden durch Technisierung gefährdende oder körperlich belastende Tätigkeiten weiter automatisieren und ersetzen und damit zu einer ergonomischeren Arbeit in den Betrieben beitragen.

In welchen Zeiträumen müssen wir uns das vorstellen?

Bauer: Die digitale Transformation findet nicht innerhalb weniger Jahre statt. Die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine wird sich kontinuierlich weiterentwickeln. Das haben wir in den vergangenen drei Jahrzehnten auch schon erlebt. Es wurde immer so viel wie möglich rationalisiert und automatisiert. Trotzdem ist der Beschäftigungsgrad in unserem Land heute höher denn je. Die große Sorge, dass die Entwicklung zu großer Arbeitslosigkeit führen wird, ist nicht begründet.

Folglich gehen Ihrer Einschätzung nach unterm Strich zumindest in Deutschland überhaupt keine Jobs verloren?

Bauer: Es werden Arbeitsplätze durch Technik ersetzt werden und neue mit höheren Qualifikationen entstehen. Rationalisierungen werden wir eher im mittleren Bereich erleben, bei Facharbeit in der Fabrik und Sachbearbeitung in den Büros. Eine neue Studie geht von einem Verlust von insgesamt 60.000 Jobs in Deutschland innerhalb von zehn Jahren aus. Aber der wird durch das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsleben mehr als kompensiert. Wir werden unseren Fachkräftemangel in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hoffentlich durch Automatisierung ausgleichen können.

Die Roboter werden dringend gebraucht, weil es zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte gibt?

Bauer: Es wird zwar auch in der Zukunft Jobs geben, bei denen sich Automatisierung betriebswirtschaftlich nicht rechnet, denn auch die Technik muss finanziert werden. Ein großes Problem ist aber, dass aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung nicht genügend Arbeitskräfte für die höher qualifizierten Tätigkeiten nachrücken. Das heißt, wir müssen ausreichend weiterqualifizieren.

Der digitale Nachwuchs muss also aus den eigenen Reihen kommen?

Bauer: Auch. Wer heute 40 Jahre alt ist und eventuell bis zum 70. Lebensjahr arbeiten wird, der muss sich auf die digitalere Welt einstellen. Dazu muss er die Fähigkeit erlangen, in immer digitaleren Geschäftsmodellen zu denken und dafür Produkte sowie Services zu entwickeln und in den Markt zu bringen. Wir werden auch in Zukunft Autos, Maschinen und andere physische Produkte bauen. Aber diese Produkte werden immer intelligenter. Datenwelt und physische Welt sind dann im Internet der Dinge miteinander verbunden. Deutschland ist in der physischen Welt stark und muss jetzt die Verknüpfung mit der digitalen Welt schaffen.

Sehen Sie da gute Ansätze?

Bauer: Viele Unternehmen verändern sich zum Teil sehr schnell. So sind beispielsweise die Automobilhersteller dabei, sich zu Mobilitätsdienstleistern weiterzuentwickeln. Die digitalisierte Welt kommt nicht über uns, sondern wir können sie gestalten. Wir organisieren ja unser Privates heute schon immer mehr über digitale Instrumente, über das Smartphone und Plattformen. Wir gestalten die Veränderung durch unser Verhalten und unseren Konsum, im Privaten wie im Beruflichen. Jede Veränderung birgt Gefahren und Chancen. Ich sehe jede Menge Raum nach oben für positive Entwicklungen.

 

Zur Person Wilhelm Bauer

Der Ingenieur und Arbeitswissenschaftler ist geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Er steuert und verantwortet die Bereiche Innovationsforschung, Technologiemanagement, Leben und Arbeiten in der Zukunft, Smarter Cities und Mobility Innovations. Der Professor berät als Mitglied in verschiedenen Gremien Politik und Wirtschaft.

 

 

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